„Alles ist schlechter als früher“

■  Gespräch mit Anatoli Karpow, dem in der Weltrangliste abgerutschten Champion des Schachweltverbandes Fide, über seine Formkrise und Konkurrenz-Weltmeister Garri Kasparow

taz: Herr Karpow, bei den Frankfurter Chess Classics landeten Sie abgeschlagen hinter den in der Weltrangliste führenden Garri Kasparow, Viswanathan Anand und Wladimir Kramnik auf dem letzten Platz. Ein herber Prestigeverlust für Sie, vor allem weil Sie auch den ersten direkten Vergleich nach drei Jahren gegen Kasparow mit 1,5:2,5 verloren.

Anatoli Karpow: Zunächst sollten wir über verschiedene Arten von Schach reden. Das hier war Schnellschach mit 25 Minuten Bedenkzeit und kein klassisches Schach. Je älter man wird, um so schwerer fällt es einem, Fünf-Minuten-Blitzschach oder Schnellschach zu spielen. Die Reaktionszeit läßt ebenso nach wie die Denkschnelligkeit beim Berechnen von Varianten.

Aber selbst im klassischen Turnierschach mangelt es Ihnen derzeit an Erfolgen. Fehlt es an Motivation?

Nach 30 Jahren an der Spitze scheint mir das wenig verwunderlich. Außerdem arbeiten die Leute immer mehr mit Computern, so daß es zunehmend schwieriger fällt, Partien zu gewinnen. Inzwischen muß ich aber tatsächlich bereits acht Monate auf meinen Jubiläumsturniersieg, den 150., warten.

Lassen Sie Ihre Karriere langsam ausklingen?

Nein, ich erhielt Anfang 1998 ein Angebot der russischen Regierung, Sportminister zu werden. Doch ich entschied mich, vorerst Schachspieler zu bleiben. Aufgrund meiner zahlreichen Aktivitäten, unter anderem für Wohltätigkeitsorganisationen, komme ich vielleicht nur noch jeden vierten Tag zu ernstem Training. Das muß ich ändern.

Sehen Sie noch die Chance, an der K.o.-WM der Fide Ende des Monats in Las Vegas teilzunehmen? Ohne Sie, Kasparow und Anand wäre diese doch völlig entwertet.

Das bespreche ich jetzt mit meinem Anwalt in der Schweiz. Den vorliegenden Vertrag kann ich nicht unterschreiben. Ich muß im August fünf Verpflichtungen nachkommen. Ansonsten drohen mir laut Vertrag Geldstrafen. Folglich muß die Fide diese übernehmen oder sich mit den fünf Veranstaltern einigen.

Bei der Wahl von Kirsan Iljumschinow zum Fide-Chef galten Sie als sein Parteigänger. Sind Sie nun sehr von dem kalmückischen Präsidenten enttäuscht?

Am Anfang glaubte ich, er würde den Sumpf trockenlegen und das Miteinander verbessern. Inzwischen ist alles noch schlechter als früher. Die Fide-Funktionäre arbeiten nur noch in die eigene Tasche und schieben sich gegenseitig die Pöstchen zu. Was in der Schachwelt drumherum passiert, interessiert die nicht!

Kasparow hat auch Probleme, nachdem er den eigentlich qualifizierten Alexej Schirow ausbootete und statt dessen gegen Viswanathan Anand um seinen PCA-Titel spielt.

Natürlich. Ihm macht es am meisten Spaß, gegen Anand anzutreten. Ich sah das Match 1995 in New York. Zunächst spielte Anand bis zur Führung hervorragend. Danach zerstörte ihn Kasparow. Seitdem kann Anand nicht mehr gegen Kasparow standhalten.

Inzwischen scheint Kasparow äußerst freundlich zu Anand zu sein.

Das Verhalten erinnert mich an Michail Botwinnik, Kasparows Lehrmeister. Wassili Smyslow erzählte mir, daß er vor und während des WM-Matches fürchterlich von Botwinnik angefeindet wurde. Smyslow erzählte weiter: „Kaum hatte ich gegen ihn verloren, schien ich am nächsten Tag sein bester Freund zu sein.“

In der neuesten Weltrangliste kletterte Kasparow auf noch nie erreichte 2.841 ELO-Punkte. Ist Ihr Erzrivale derzeit besser denn je?

Ich muß zugeben, seine Ergebnisse sind beeindruckend. Was die Qualität der Schachpartien anlangt, scheint mir aber Kasparow 1990/91 noch stärker gewesen zu sein.

Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem, was Sie über Kasparow sagen, und dem, was er über Sie verbreitet. In Pressekonferenzen stiert er in die Luft oder schüttelt demonstrativ den Kopf, wenn Sie etwas sagen, was ihm nicht paßt.

Ich finde Kasparows Verhalten beschämend. In seiner Erziehung wurde etwas verpaßt. Natürlich zeigen die Leute wenig Verständnis dafür. Er glaubt alles besser zu wissen, nicht nur im Schach. Böse wird er vor allem, wenn es um Fragen zur Fide geht.

Sie lassen sich nie aus der Ruhe bringen, wenn Sie über seine Weltmeisterschaft sprechen. Liegt das an Ihrem gesetzteren Alter?

Zunächst scheint es mir eine Frage des Verstehens der Zusammenhänge zu sein. Ein Beispiel: Wenn ich ein Match gegen Kramnik für fünf Millionen Dollar Preisgeld spielte, er sich aber bei seinem Wettkampf gegen Anand mit drei Millionen bescheiden müßte, bräche für ihn eine Welt zusammen. Mich freut es hingegen, wenn es für jeden Wettbewerb mehr Geld gibt. Das ist doch für alle Profis besser. Wir haben völlig gegenteilige Ansätze, was Schach fördert. Für Kasparow ist Schach nur Kasparow.

Sie ärgern sich also nicht mehr sonderlich über sein Verhalten?

Ich kenne ihn mittlerweile sehr gut. Warum soll ich mich da noch aufregen? Er ist angriffslustig, benimmt sich arrogant gegenüber Dritten. Mir machen Diskussionen mit ihm nichts aus. Dabei werfe ich ihn, um es mit Wrestling zu vergleichen, einfach auf den Boden. Er erzählt viel, aber nichts Substantielles mit Argumenten.

Fühlten Sie etwas Besonderes, als Sie nach drei Jahren wieder vor einer Partie die Hand von Kasparow drückten? Ihr Rivale stand ja vor jedem Vergleich unter Strom, blähte die Backen und blies die Luft aus wie ein 100-Meter-Sprinter.

Ich fühle dabei nichts Besonderes mehr. Das war nur vor langer Zeit so. Er will immer etwas zeigen, produziert irgendwelche Laute wie ein Tier gegenüber einem Rivalen.

Abschließend nochmals kurz zurück zur WM in Las Vegas.

Man sollte die K.o.-WM nicht Weltmeisterschaft, sondern zum Beispiel Weltpokal nennen. Ich bevorzuge den früheren Modus mit Qualifikationszyklus und längeren Zweikämpfen.

Und was passiert, wenn Sie sich mit der Fide nicht einigen? Beharren Sie dann ebenso wie Bobby Fischer, Kasparow und Ihr Nachfolger in den USA auf dem WM-Titel?

Dann gibt es eben vier Weltmeister. Interview: Hartmut Metz