■ Warum die Grünen für eine machtfreie Wirtschaft sein sollten: Der andere Liberalismus
Junge Realo-Grüne erklären ähnlich wie Modernisierer der Sozialdemokratie, daß sie das „ brach liegende geistige Erbe des verantwortungsvollen Liberalismus aufnehmen“ wollen. Doch was meinen sie, wenn sie von Liberalismus reden?
„Liberal“, das ist die neue alte Mitte – „jenseits von rechts und links“. Schröders Vordenker Hombach verlangt einen „neuen Korporatismus“ mit der Großindustrie. Junge Grüne fordern, daß aus den Grünen ein Dienstleistungsunternehmen wird. Die letzten Berührungsängste vor der Wirtschaft sollen fallen. Doch das hat mit Liberalismus nichts zu tun.
Der Liberalismus entstand ursprünglich, um Machtstrukturen abzuschaffen. Das enge Zusammenwirken zwischen Staatsmacht und den ersten großen Kapitalgesellschaften – das war einer der Auslöser der bürgerlichen Revolutionen. Die Liberalen begründeten das Primat der Demokratie über die Wirtschaft, gegen die alte merkantilistische Ordnung, in der schon damals der Staat sich als Dienstleistungsunternehmen für die Wirtschaft verstand.
Die klassischen Liberalen, von Overton über Paine bis Eucken, glaubten tatsächlich an die Möglichkeit, die Wirtschaftsordnung neu zu konstituieren. Große Kapitalkonzentrationen waren für sie nicht Folgen einer naturgesetzlichen Marktlogik, sondern Ergebnisse staatlicher Interventionen. Was der Staat schafft, kann er auch wieder abschaffen.
Mit dem von den Liberos belächelten Glauben an den großen gesellschaftlichen Entwurf gelang es, den demokratischen Rechtsstaat durchzusetzen. Doch der Liberalismus hat nur zur Hälfte gesiegt – die oligopolistische Marktwirtschaft gewann die Oberhand über die machtfreie. Zwar gelang es in den frühen USA für eine Weile, ein Kapitalgesellschaftsrecht durchzusetzen, das Konzernbildungen untersagte. Doch schließlich setzten sich die Kapitalinteressen durch. So sind selbst die freiheitlichsten Verfassungen bis heute in sich widersprüchlich. Einerseits konstituieren sie Rechtsstaat und Demokratie, andererseits lassen sie ein Wirtschaftssystem zu, das diese Institutionen permanent gefährdet.
Großkonzerne wurden bisher durch unzählige machtfreundliche politische Weichenstellungen hervorgebracht. Dieser Prozeß läßt sich auch umkehren: Alle wirtschaftsrelevanten Rechtsbereiche – vom Steuer- über das Patent- bis zum Verfassungsrecht – müssen so reformiert werden, daß der Konzentration ökonomischer Macht systematisch die bisherige staatliche Unterstützung entzogen wird. Auf diese Weise kann der Trend zur Konzentration umgedreht werden. Wenn Kapitalgröße unrentabel wird, werden sich im Profitinteresse der Kapitalbesitzer die einzelnen Weltkonzerne in viele Hunderte selbständige Unternehmen auflösen.
Genau hier setzen die radikalliberalen Grünen in Österreich an. In dem linken Entwurf für ein neues grünes Grundsatzprogramm steht : „Funktionierender Leistungswettbewerb ist das beste Entmachtungsinstrument, über das wir verfügen. Deshalb müssen die Prinzipien des freien Marktes gegen den bestehenden Kapitalismus und gegen seine ideologischen Vertreter durchgesetzt werden.“
Die Liberos trauen sich soviel Liberalismus nicht zu. Tatsächlich ist ihr Manko nicht zuviel, sondern zuwenig Liberalismus. Statt für den freien Markt einzutreten, setzen sie sich dafür ein, im Schatten der Großkonzerne die Folgen der unfreien Marktwirtschaft zu kompensieren – zum Beispiel durch eine bessere Mittelstandspolitik. Das Wunderwort heißt bei ihnen wie bei der modernisierten SPD soziale Marktwirtschaft. Es handelt sich aber um einen Etikettenschwindel. Die „soziale Marktwirtschaft“ wird seit Erhard mit dem Ordoliberalismus verbunden. Unterschlagen wird dabei, daß ordoliberale Wissenschaftler (z. B. Eucken, Böhm) nach 1945 in Gutachten die Auflösung der Großkonzerne forderten, die das ökonomische Rückgrat des NS-Systems gewesen waren. So entwarfen sie eine machtfreie Wirtschaftsverfassung, die für eine freie Gesellschaft genauso wichtig ist wie Rechtsstaat und Demokratie. Dieses Erbe dieses Liberalismus gilt es weiterzuentwickeln. Das ist die Aufgabe der Grünen: Denn die Alternative zum Neoliberalismus ist der starke Liberalismus. Walter Oswalt
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Frankfurt
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