„Schmeißt die Geldmaschine an“

Chinas Ökonomen kritisieren öffentlich die Verschuldungspolitik der Zentralregierung in Peking. Doch die Deflation scheint niemand mehr aufhalten zu können  ■   Von Shi Ming

Köln (taz) – Überall zeichnet sich in Asien eine zarte Erholung der Volkswirtschaften ab, die seit zwei Jahren unter der Asienkrise leiden. Die Börsen in Hongkong wie in Tokio vermelden mittlerweile täglich neue Rekordhöhen. Auch in Seoul und Singapur freuen sich Fondsmanager über die steigende Bereitschaft westlicher Kapitalgeber, wieder in die Region zurückzukehren. Inmitten dieses vorsichtigen Optimismus platzt eine schlechte Nachricht aus China, der größten Volkswirtschaft und Wachstummotor der Region schlechthin: China leide unter einer „handfeste Deflation“, verkündete das Parteiorgan Volkszeitung Anfang der Woche.

Ein Teil der amtlichen chinesischen Ökonomen spricht gar von einer Rezession, da der Preisverfall seit 21 Monaten kontinuierlich andauert. Ein Ende ist nicht in Sicht. Die Zahlen verheißen nichts Gutes: In der ersten Jahreshälfte sind Chinas Handelsüberschüsse um über zehn Prozent zurückgegangen. Die Devisenreserven von 140 Milliarden US-Dollar liegen jetzt erstmals mit den Auslandsschulden gleichauf. Darunter leiden auch die Tigerstaaten: Sollte Peking wegen Devisenknappheit auf weitere Importbeschränkungen wie die Antidumping-Kampagne gegen Pressepapier aus Süd-Korea zurückgreifen, schwindet für sie die Chance, mehr nach China zu exportieren. Das Geld aber brauchen sie, um ihre angeschlagenen Haushalte und Banken zu sanieren.

Chinas Schwäche läßt auch Japan nicht kalt. Selbst gegen die Rezession kämpfend, sorgt man sich dort nicht nur um Chinas Konsumschwäche, sondern auch um das chinesische Bankenssystem. Chinas Vizezentralbankchef Zhang Youcai räumte am 2. Juli in Hongkong ein, faule Kredite von 970 Milliarden Yuan (20 Milliarden Mark) hätten in seinem Land bereits erste Bankfilialen zahlungsunfähig gemacht. Da Japan Geldinstitute der Volksrepublik mit umfangreichen Krediten unterstützt, droht das schwindende Vertrauen in die chinesische Banken auch die Bonität japanischer Institute in Mitleidenschaft zu ziehen. Japan hat inzwischen alle zinsgünstigen Kredite für China eingestellt. Eine Lockerung ist vom heutigen Chinabesuch des japanischen Premiers Obuchi nicht zu erwarten.

Die Misere der Staatsbanken verschärft sich zudem durch die schlechte Verfassung der Staatsfinanzen. Nach Schätzungen aus dem chinesischen Finanzministerium muß sich Peking schon jetzt bei Investitionen von 100 Yuan 86 Yuan leihen. Im laufenden Jahr wird jeder zweite Yuan aus dem Haushalt der Zentralregierung in den Schuldendienst fließen.

Die Überschuldung macht es der Zentralregierung unmöglich, mit Finanzspritzen die eigenen Geldinstitute wenigstens zeitweilig für ausländische Kapitalgeber kreditwürdig zu machen. Die Folge: Um real 15 Prozent sanken seit Jahresanfang die Invetitionen aus dem Ausland. Die Tendenz ist weiter fallend, obwohl Chinas Arbeitskräfte billig sind wie selten zuvor. Auch im Land des Lächelns herrscht Massenarbeitslosigkeit. Viele freuen sich, überhaupt irgendeinen Job zu bekommen.

Die Aussicht auf wachsende öffentlichen Investitionen bleibt trüb. Amtliche Ökonomen wie Professor Liu Fuhuan warnen vor einer weitern Verschuldung des zentralen Haushalts, um die Investitionslücken zu schließen. In einem am Montag veröffentlichten Strategiepapier machte die staatliche Planungskommission den Gegenvorschlag, daß künftig die Provinz- und Regionalregierungen mehr Schulden machen sollen. Aber das scheint nicht verfassungskonform zu sein.

Im Ausland lösen die offensichtlich gewordenen Zweifel an der Wirtschaftspolitik von Premier Zhu Rongji Sorgen aus. Zum ersten Mal seit dessen Amtsantritt im März 1998 wird Zhus Wirtschaftskurs offen kritisiert. Ohne seinen Namen zu nennen, werfen amtliche Ökonomen wie Fan Jianping und Yang Dakan dem Premier vor, die Gefahr der Deflation ignoriert zu haben. Die staatliche Planungskommission schlägt gar eine radikale Umkehr von der bisherigen Politik als Rettung vor: Statt zur Konjunkturbelebung weiter die Zinsen zu senken, müsse eine noch aktivere Geldpolitik betrieben werden. Im Klartext: China soll die Notenpresse in Gang setzen, um mehr Kaufkraft zu schaffen und mehr Investition zu erzwingen. Hohe Beamte der japanischen Zentralbank warnten bereits Mitte Juni, vor einer Abwertung der chinesischen Währung, sollte China entgegen dem bisherigen Kurs von Ministerpräsident Zhu auf eine Inflationspolitik setzen. Dies hätte kaum einzuschätzende negative Auswirkungen für die gesamte Region.