„Ich kann es nicht mehr hören“

■  Ministerin Fischer sieht durch ihre Gesundheitsreform kaum Arbeitsplätze bedroht. „Garantieren“ will sie aber für nichts

taz: Einige Ärztevertreter werfen Ihnen vor, Sie seien schuld, wenn in Zukunft Patienten früher sterben müßten. Trifft Sie das?

Andrea Fischer: Diese Vorwürfe berühren mich, auch wenn sie vollkommen überzogen sind. Sie treffen mich teilweise ganz persönlich, aber irgendwie muß man es wegstecken.

Die Apothekervereinigung hat in der taz eine Anzeige geschaltet. Der Text : „Liebe Frau Fischer, stellen Sie sich vor, Ihr Arzt sagt zu Ihnen, die Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel sind durch die Gesundheitsreform so beschnitten worden, daß ich Ihnen dieses teure Medikament nicht verschreiben kann.“ Was erwidern Sie?

Die Apotheker sollten mal ihre Gewinnspannen offenlegen. Dann reden wir weiter.

Ist tatsächlich eine Kappung der Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel vorgesehen?

Nein. Es gibt ein Gesamtbudget für Arznei- und Heilmittel. Das ist in den vergangenen Jahren ständig gestiegen. Die kassenärztlichen Vereinigungen sind verantwortlich für ihr regionales Budget. Viele Ärzte meinen, sie haben ein individuelles Budget. Aber das stimmt nicht. Sie verwechseln das mit der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Wenn ein einzelner Arzt deutlich mehr verschreibt als andere, dann muß er das gegenüber der kassenärztlichen Vereinigung erklären. Wenn er aber zum Beispiel belegen kann, daß er besonders viele Krebspatienten hat, dann ist das in Ordnung.

Was passiert, wenn die kassenärztliche Vereinigung eines Bundeslandes ihren Anteil am Arzneimittelbudget überschreitet?

Zur Zeit werden die Ärzte einer Region in Regreß genommen. Durch die Gesundheitsreform werden jedoch ab dem Jahr 2000 die starren Budgets abgelöst durch regionale Globalbudgets.

Können Sie der chronisch kranken Großmutter garantieren, daß ihr aus Kostengründen kein Medikament verweigert wird, das sie wirklich braucht?

Wenn sie bei einem verantwortungsbewußten Arzt in Behandlung ist, dann ja.

Muß das Globalbudget dann nicht pro Jahr deutlich anwachsen? Denn es wird in Zukunft immer mehr alte Menschen geben, und die Behandlungsmethoden werden immer besser und teurer.

Nein, wir müssen nicht immer mehr Geld in das System geben. Unser Problem ist, daß wir an manchen Stellen Überversorgung haben und an anderen Unterversorgung. Zum Beispiel gibt es Mängel bei der Betreuung von Diabetikern und bei der Diabetes-Vorsorge. Das führt dazu, daß einige Diabetiker Nierenversagen bekommen und eine Dialyse brauchen.

Wie wollen Sie das in Zukunft verhindern?

Ich will die Voraussetzung schaffen, daß die Ärzte verschiedener Fachrichtungen in Zukunft besser zusammenarbeiten. Ebenso die niedergelassenen Ärzte mit den Klinikkollegen. Außerdem müssen wir uns mehr als heute an Qualitätsfragen orientieren. In unserem Gesetzentwurf steht, daß Krankenkassen die Vergütung davon abhängig machen können, ob in einer Praxis oder Klinik Qualitätskontrollen durch die kassenärztliche Vereinigung stattfinden.

Die Vertreter der Krankenkassen sagen, wenn die Kostenentwicklung so weitergeht, wird es demnächst eine Erhöhung der Beiträge geben. Sie haben dagegen stabile Beiträge versprochen. Können Sie garantieren, daß es dabei bleibt?

Zumindest in diesem Jahr wird es dabei bleiben. Klar ist, daß stabile Beitragssätze oberstes Ziel unserer Reform sind.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, warnt vor britischen Verhältnissen. Es werde zu Wartezeiten vor Operationen kommen.

Das gehört zur üblichen Folklore der gesundheitspolitschen Debatte. Es gibt doch Operationen, bei denen es nicht entscheidend ist, ob sie in vier oder in sechs Wochen gemacht werden.

Wird es Altersgrenzen für bestimmte Behandlungen geben?

Ich kann es nicht mehr hören. Dieselben Ärzte, die mir am Montag auf der Protestveranstaltung vorwerfen, eine Achtzigjährige werde in Zukunft aus Kostengründen kein neues Hüftgelenk mehr bekommen, reden dann auf ihrem Fachkongreß darüber, daß niemand genau weiß, wie gut oder schlecht diese künstlichen Hüftgelenke eigentlich sind. Die Ärztevertreter sind nämlich viel klüger, als sie mir gegenüber immer tun.

Was muß die gesetzliche Krankenkasse leisten und was nicht?

Wir haben ein Gesetz, das festlegt: Bei uns darf nur das Notwendige und Wirtschaftliche von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt werden. Das gab es schon lange, bevor ich Gesundheitsministerin wurde. Die gesetzliche Krankenkasse muß Menschen mit einer schweren Krankheit so beistehen, daß sie nicht befürchten müssen abzustürzen. In den USA kann ihnen das passieren: Sie verdienen eigentlich ganz gut, und dann stürzt eine schwere Krankheit sie in den Ruin.

Einzelne Ärztevertreter wollen das Verursacherprinzip in die gesetzliche Krankenversicherung einführen. Sie sagen, die Folgen von Sportunfällen oder Tabakkonsum sollten nicht auf Kosten des Solidarsystems behandelt werden.

Wenn wir dieses Prinzip einführen, kommen wir in Teufels Küche. Was wäre zum Beispiel, wenn nicht ich rauche, sondern mein Arbeitskollege mich zuquarzt? Auch bei den Risikosportarten ist das schwierig. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich einer beim Skilaufen ein Bein bricht, ist größer, als wenn er zu Hause bleibt. Auf der anderen Seite lebt der Skiläufer vielleicht gesünder. Wie wollen Sie das abwägen?

Wo könnte denn dann im Gesundheitssystem gespart werden?

Überall dort, wo mehrere Ärzte am selben Patienten arbeiten, ohne miteinander zu reden. Zuerst untersucht der Hausarzt, dann untersucht der Facharzt, so kommt es zum Beispiel zu den berühmten doppelten Röntgenaufnahmen. Das ist auch ein Grund, warum wir die Rolle der Hausärzte stärken wollen: Der sofortige Weg zum Spezialisten ist nicht immer der richtige.

Wollen Sie die Niederlassungsfreiheit der Ärzte einschränken?

Es ist natürlich eine Einschränkung, wenn es nur noch dort Zulassungen gibt, wo ein Bedarf ist. Aber diese Bedarfszulassung gibt es schon lange. Sie ist auch ein Schutz für die Ärzte, die schon niedergelassen sind. Je mehr Ärzte in einem Gebiet arbeiten, desto weniger springt für den einzelnen dabei raus. Wenn sich ein Arzt in einer Stadt wie Berlin niederläßt, muß ihm klar sein, daß er ein Risiko eingeht. Er sollte besser dorthin gehen, wo er wirklich gebraucht wird.

Auch im Krankenhausbereich soll nach Ihren Plänen gespart werden. Was sagen Sie den Pflegekräften, die jetzt Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren?

Ich gehe davon aus, daß kaum Arbeitsplätze verlorengehen. Im stationären Bereich werden wohl Stellen gestrichen werden. Dafür werden neue im ambulanten Bereich geschaffen. Im übrigen: Natürlich ist es wichtig, daß wir Arbeitsplätze sichern, aber das alleine kann kein Argument sein, ein überflüssiges Krankenhaus beizubehalten.

Die SPD-Ministerpräsidenten haben angekündigt, der Reform nur zuzustimmen, wenn Sie garantieren, daß keine Arbeitsstellen verlorengehen. Können Sie das?

Das liegt nicht in meiner Macht. Die Krankenhausplanung findet auf Landesebene statt. Das wird auch in Zukunft so bleiben.

Führt Ihre Reform dazu, daß Krankenschwestern, die heute schon Schwerstarbeit für wenig Lohn verrichten, in Zukunft noch mehr schuften müssen?

Im Gegenteil. In Krankenhäusern, die in den letzten Jahren einen Modernisierungsprozeß durchgemacht haben, ist die Arbeitszufriedenheit größer geworden. Das ist keine Frage des Geldes, sondern der Organisation. In den Kliniken der Zukunft werden wir weniger Patienten haben, denn so viele Patienten wie möglich sollen ambulant versorgt werden. Warum muß jemand, der operiert wurde, noch tagelang danach im Krankenhaus bleiben?

Wie wollen Sie im Krankenhausbereich Einsparungen erreichen?

Durch ein neues Preissystem. Zum Beispiel muß ein angemessener Preis für eine Blinddarmoperation oder eine Herztransplantation festgelegt werden.

Welchen Vorteil versprechen Sie sich davon, daß in Zukunft die Krankenhäuser vollständig von den Krankenkassen und nicht mehr von den Ländern finanziert werden?

Zur Zeit gibt es eine politisch begründete Überkapazität. Der eine oder andere Landrat hat sich mit dem Krankenhaus ein Denkmal gesetzt. Es macht auch aus der Sicht der Klinikleitung Sinn, daß die Krankenkassen über Investitionen entscheiden, weil sie auch die Folgekosten tragen müssen.

Wird es den Krankenhäusern im Osten durch die Reform noch schlechter gehen?

Seit Wochen versuche ich eine Lösung zu finden, die dem Osten zugute kommen soll. Interview: Tina Stadlmayer