Bonn prüft Ausstieg im Dissens

Koalitionsrunde zum Atomausstieg abgesagt. Staatssekretäre sollen nun die Möglichkeiten einer gesetzlichen Befristung von AKW-Genehmigungen ausloten  ■   Von Jürgen Voges

Hannover (taz) – Beim Atomausstieg setzt die rot-grüne Bundesregierung nicht mehr allein auf einem Atomkonsens mit den AKW-Betreibern. Eine Arbeitsgruppe von vier Staatssekretären soll jetzt die Möglichkeiten einer gesetzlichen Befristung der Betriebsgenehmigungen für die 19 bundesdeutschen Atommeiler prüfen und bis zum 30. September dem Bundeskabinett ihre Ergebnisse schriftlich vorlegen. Dies hat nach Angaben einer Sprecherin des Umweltministeriums das Bundeskabinett in seiner gestrigen Sitzung beschlossen.

Gleichzeitig wurde die für den gestrigen Abend geplante Koalitionsrunde zum Thema Atomausstieg kurzfristig abgesagt. Konkrete Ergebnisse waren von der Runde ohnehin nicht mehr erwartet worden, nachdem sich Kanzler Schröder und die Minister Müller und Trittin bereits in der Vorwoche auf eine Vertagung weiterer Konsensrunden auf die Zeit nach der Sommerpause verständigt hatten. Eine Einigung in den Streitpunkten sei nicht möglich gewesen, hieß es denn auch aus Regierungskreisen. Man habe „nur die offenen Fragen benennen können“.

Zu der vom Bundeskabinett nun beschlossen Staatssekretärsrunde wird das Bundesumweltministerium einladen. Vertreten sind darin auch das Wirtschafts-, das Innen- und das Justizministerium. Die Staatssekretäre sollen gemeinsam prüfen, ob eine gesetzliche Befristung der AKW-Genehmigungen rechtlich und vor allem verfassungsrechtlich zulässig ist. Dabei sollen sie auch die Frage beantworten, auf welche konkrete Dauer sich die AKW-Genehmigungen beschränken lassen.

Die Kabinettsvorlage der Arbeitsgruppe soll auch die Rechtsgrundlagen für einen Stopp der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente in England und Frankreich prüfen. Und schließlich soll sie klären, wie bei der geplanten Suche nach einem neuen Standort für ein Endlager für alle Arten atomarer Abfälle Entschädigungsforderungen der Energiewirtschaft zu vermeiden sind.

Erst Ende September, wenn das Papier der vier Staatssekretäre vorliegt, will die rot-grüne Regierung dann erneut über eine gemeinsame Linie beim Atomausstieg beraten.

Die Grünen zeigten sich gestern sehr zufrieden mit der Kabinettsentscheidung. Es hätte nichts gebracht, „in der Sommerpause etwas mit heißer Nadel zu stricken“, sagte eine Sprecherin der Fraktion. Trittin kritisierte allerdings indirekt Schröders Verhandlungsführung: Die Atomkonzerne hätten „im Januar, als Schröder die Atomgesetznovelle kassierte, eine unbezahlbare Erfahrung gemacht“.