„Rugovas Zeit ist abgelaufen“

■ Baton Haxhiu, Chefredakteur von „Koha Ditore“, über die Zukunft des Kosovo: „Serbien hat moralisches Recht auf Herrschaft verwirkt“

taz: Jetzt, wenige Wochen nach dem Ende des Krieges, verlassen Serben aus Angst um ihr Leben den Kosovo. Geht es nach der Devise „Auge um Auge, Zahn um Zahn“?

Baton Haxhiu: Ja, wir haben diese Exzesse, doch der Krieg ist ja auch noch nicht so lange her. Die Menschen sind aufgebracht, sie haben Mitglieder ihrer Familien verloren. Das sind Verbrechen von einzelnen, sie sind nicht von den Albanern organisiert.

Glauben Sie, daß künftig ein Zusammenleben zwischen Serben und Albanern im Kosovo überhaupt noch möglich sein wird?

Sicher. Wir haben viele Jahre zusammengelebt. Die Probleme sind durch den aggressiven Nationalismus in Ex-Jugoslawien entstanden. Eine Koexistenz ist aber nur dann möglich, wenn dem serbischen Nationalismus keine Chance mehr gegeben wird. Viele Serben im Kosovo sind immer noch sehr aggressiv. Trotzdem glaube ich, daß auch sie eine Zukunft im Kosovo haben. In ein, zwei Monaten werden ganz andere Fragen wichtig, zum Beispiel, wie es wirtschaftlich weitergeht. Wichtig ist auch, daß die internationale Gemeinschaft die Bedingungen dafür schafft, daß die Verantwortlichen nach Den Haag gebracht werden. Wenn das erreicht wird, glaube ich, daß die Zukunft auf dem Balkan eine multiethnische sein wird.

Derzeit sind die Albaner untereinander sehr uneins. Wie sehen Sie die künftige politische Landschaft im Kosovo?

Jetzt ist in der Politik eine schmutzige Phase. Wir werden einige Monate lang Auseinandersetzungen zwischen Verrätern und Patrioten erleben, dann wird sich die Lage normalisieren und durch Auseinandersetzungen um die Zukunft des Kosovo, zum Beispiel die wirtschaftliche Entwicklung, ersetzt.

Welche Rolle wird die UÇK spielen?

Die UÇK als Truppe ist Vergangenheit. 95 Prozent der UÇK-Mitglieder waren Kämpfer für den Frieden im Kosovo, Studenten, Arbeiter, ganz normale Leute. Nur fünf Prozent sind Soldaten im eigentlichen Sinne des Wortes. Die werden in die Politik gehen. Aber das wird in Zukunft nicht schwer wiegen.

Und Rugova?

Für Rugova ist die Zeit abgelaufen. Er ist eine gute Vaterfigur, aber ein schlechter Politiker. Die führende Rolle werden Vertreter der jungen Generation, wie zum Beispiel Veton Surroj, spielen. Das gilt auch für Hashim Thaci. Er hat sich in der letzten Zeit stark gewandelt, von einem Guerillero zum Politiker, und ist jetzt bereit, mit der westlichen Staatengemeinschaft zusammenzuarbeiten.

Stets war viel von dem sogenannten Parallelsystem – Krankenhäuser und Schulen der Albaner – im Kosovo die Rede. Die UNO, die sich um den zivilen Wiederaufbau kümmern soll, steht vor dem Nichts. Wo sind diese Strukturen?

Die Parallelstrukturen, vor allem im Bildungs- und Gesundheitswesen, wurden während der vergangenen zehn Jahre aufgebaut, waren aber nicht an die Bedingungen eines Krieges angepaßt und befanden sich hauptsächlich in Privathäusern. Davon ist jetzt nichts mehr übrig. Deshalb brauchen wir Hilfe, um diese Bereiche wieder neu aufzubauen, besonders was Universitäten und weiterführende Schulen betrifft.

Sind die Forderungen nach einer Unabhängigkeit des Kosovo vom Tisch?

Ich weiß nur eins: Serbien hat jedes moralische Recht verwirkt, noch über das Kosovo zu herrschen. Für die nächsten fünf Jahre wird das Kosovo ein Protektorat sein. Dann werden wir weitersehen. Vielleicht bestehen dann schon gute Chancen, eine Art Balkankonföderation mit durchlässigen Grenzen zu errichten. Diese Föderation sollte neben den Ländern des ehemaligen Jugoslawien auch Griechenland, Rumänien und Bulgarien umfassen.

Wie schätzen Sie die Chancen für eine Demokratisierung in Serbien ein?

Die Chance besteht dann, wenn den Serben jetzt die Möglichkeit gegeben wird, zu wählen. Das betrifft natürlich nicht das Kosovo. Wir haben nicht vor, an solchen Wahlen teilzunehmen. Wenn sich die Mehrheit wieder für Miloševic entscheidet, ist den Serben nicht mehr zu helfen. Interview: Barbara Oertel