Proteste bis zum Generalstreik

■  Demonstrationen in mehreren Städten: Serbiens Opposition erneuert ihre Rufe nach dem Sturz von Präsident Milosevic und fordert die Bevölkerung zu zivilem Ungehorsam auf

Der jugoslawische Oppositionspolitiker Zoran Djindjic hat gestern erneut zu täglichen Demonstrationen gegen Slobodan Miloševic aufgerufen. Djindjic ist Vorsitzender der Demokratischen Partei und leitet das oppositionelle Bündnis Allianz für den Wandel. Er hofft, daß der landesweite Verdruß über das Miloševic-Regime groß genug ist, um den jugoslawischen Präsidenten in wenigen Wochen durch zivilen Ungehorsam bis hin zum Generalstreik zum Rücktritt zwingen zu können. Die Chancen für eine Ausweitung der Proteste unter Einbeziehung der serbisch-orthodoxen Kirche, der Universitäten, unabhängiger Journalisten und Arbeiter seien gut, sagte Djindjic gestern in einem CNN-Interview.

In der Stadt Uzice demonstrierten am Dienstag abend trotz Verbots der Polizei rund 6.000 Menschen gegen Miloševic. Djindjic rief der Menge in Uzice zu: „Es wird ein heißer Sommer werden. Wir müssen diesen Weg bis zum Ende gehen, damit Serbien einen neuen Anfang nehmen kann. Wir müssen jeden Tag auf die Straße gehen und dort bleiben, bis Miloševic verschwindet.“ Auch ein Geistlicher der serbisch-orthodoxen Kirche stellte sich hinter die Forderungen der Opposition.

In der Stadt Leskovac versuchte die Polizei am Dienstag abend vergeblich, eine weitere Demonstation zu unterbinden. 2. 000 Demonstranten verlangten dort die Freilassung des Fernsehtechnikers Ivan Novkovic, der sich vergangene Woche in das Programm des staatlichen Fernsehsenders eingeschaltet hatte.

Während der Übertragung eines Basketballspiels zwischen Jugoslawien und Deutschland hatte er zu einer Demonstration am Montag aufgerufen und den Rücktritt des lokalen sozialistischen Kreisvorstehers Zivolin Stevanovic gefordert. Er war deshalb zu 30 Tagen Haft verurteilt worden. Der Zorn der Bevölkerung von Leskovac, die die Polizisten in Sprechchören als „Mörder“ beschimpfte und mehrere Gebäude zu stürmen versuchte, überraschte ebenso wie die hohe Teilnehmerzahl an der kurzfristig angekündigten Kundgebung vom Montag, denn die Stadt galt als Hochburg der Miloševic-Anhänger.

Auch der Stadtrat der zweitgrößten Stadt Serbiens, Novi Sad, forderte Miloševic' Rücktritt, denn dessen Innen- wie Außenpolitik sei „katastrophal“.

Der Oppositionspolitiker Vuk Draskovic verlangte auch den Rücktritt von Ministerpräsident Momir Bulatovic. Die Partei des westlich orientierten montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic solle statt dessen den Regierungschef stellen.

Mit einer Werbekampagne bemüht sich die politische Führung Jugoslawiens, nachdem sie im Krieg mit dem Kosovo die „Wiege der serbischen Nation“ praktisch verloren hat, zumindest die Zustimmung ihrer Bürger zurückzugewinnen. „Regeneration und Reform“ ist der Slogan, den die Jugoslawische Linke (JUL), die Partei von Miloševic' Ehefrau Mirjana, dafür geprägt hat. Die staatlichen Medien sind voll mit Berichten über den Wiederaufbau. „Die Kriegshelden sind zu Helden der Arbeit geworden“, sagt Energieminister Zivota Cosic und bedient sich dabei einer Sprache, die andere ehemals kommunistische Staaten längst aus dem Alltag verbannt haben. AP/Reuters/taz