Scheidung von Politik und Musik

■ „Vorwärts“, Hamburgs ältester Bandonionverein, wird 105

Früher spielten sie die „Internationale“, heute „Wochenend' und Sonnenschein“ – Wandel der Zeit im Wandsbeker Bandonionverein Vorwärts. Seit 1890 existiert der Verein und besaß für die Gründerväter noch eine andere Funktion als die reine Musikpflege: Die Arbeiter fanden vor hundert Jahren mit der Musik einen legalen Weg, um politische Versammlungen zu tarnen.

„Politik würde ich im Verein heute nicht dulden. Wir machen in erster Linie Musik, sind höchstens hellrot angestrichen“, sagt Dirigent und Vereinsvorsitzender Karl-Heinz Knaack (69).

Trotz des fremd klingenden Namens: Das Instrument ist eine urdeutsche Erfindung. „Das Bandonion wurde vom Krefelder Musiklehrer Heinrich Band aus der Ziehharmonika weiterentwickelt“, erzählt der gelernte Kupferschmied Knaack. Der Name ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus Band und Union.

Das heutige Bandonion bietet mit bis zu 144 Tönen einen größeren Tonumfang als andere Zuginstrumente und ist ein echter Herzensbrecher. Knaack: „Typisch ist der sehnsuchtsvolle Klang, der in Tangos besonders gut zur Geltung kommt.“ Seeleute brachten das Instrument zur Jahrhundertwende nach Südamerika. Weltberühmte Musiker wie Astor Piazolla spielten darauf. „In Argentinien genießt das Bandoneon – so die dortige Schreibweise – eine Art Ehrenstaatsbürgerschaft“, sagt Knaack nicht ohne Stolz.

Heute klagt der 50 Spieler zählende Verein über Nachwuchssorgen. „Das liegt wohl daran, daß die jungen Leute keine Lust mehr zum Üben haben. Die hören lieber Musik aus der Konserve.“

Geübt wird einmal in der Woche. „Pro Jahr haben wir zehn bis 15 öffentliche Auftritte in Altenheimen, Kirchen und bei Stadtteilfesten.“ In diesem Jahr feiert Vorwärts seinen 105. Geburtstag. Da wird es wohl ein paar Konzerte mehr geben.

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs dürfen auch Frauen mitmachen. Knaack: „Die Mädels bringen frischen Wind in die Bude. Heute spielen fünf Frauen bei uns mit. Meine Tochter ist auch seit 15 Jahren dabei“. Der Konkurrenzverein Germania 1894 bleibt dagegen standhaft: Frauen unerwünscht! Auch eine Form der Traditionspflege.

Volker Stahl