Justiz auf dem Idiotenhügel

■ Richter und Staatsanwälte rutschten und schleuderten während eines Sonderkurses des ADAC über den nassen Asphalt des Mahndorfer Verkehrsübungsgeländes

Gasfußfreaks und notorische Temposünder aufgepaßt! Wenn Ihr bei Eurer nächsten Verkehrsgerichts-Verhandlung im Amtsgericht Bremen auf Staatsanwalt Schmidt trefft, macht Euch auf ein Donnerwetter gefaßt. Ausreden sind zwecklos, die Nachfragen werden kritischer sein als je zuvor. Denn Herr Schmidt weiß seit gestern um die „verheerenden Folgen von überhöhter Geschwindigkeit auf den Bremsweg“. Die verheerenden Folgen haben er und sieben weitere Bremer Staatsanwälte sowie zwei Richter am eigenen Leib und im eigenen PKW erlebt. Einen Tag lang absolvierten sie ein Fahrsicherheitstraining auf dem Verkehrsübungsplatz in Mahndorf. Am Schluß war die Rechtsgelehrsamkeit um einiges an Gummi und Bremsbelag ärmer und mehrere existenzielle Erfahrungen reicher.

Bei schönstem Wetter regnete es gestern auf dem vom Volksmund „Idiotenhügel“ genannten ADAC-Fahrtrainings-Gelände beim Weserpark. Künstlich beregnet wurden Asphaltflächen und Edelstahlplatten – letztere simulieren spiegelndes Glatteis. Alte Audis, aufgeregte GTI-Gölfe und brummige Daimler wurden von der Bremer Justiz um rotweiße Hütchen gescheucht. Drei Eskalationsstufen galt es unter Aufsicht des freiberuflichen Instruktors Andreas Recknagel zu erklimmen: In kniffligen Fahrmanövern wie zum Beispiel dem guten alten Elchtest sollte zuerst erfahren (Obacht: Wortspiel!) werden, wie Mensch und Maschine unter den Bedingungen von umherfliegenden Handys und kreischenden Reifen reagieren. Auf Stufe zwei gab es konkrete Handlungsanweisungen. Und zuletzt wurde das Gelernte unter Streß vertieft. Ziel ist laut Recknagel der Gewinn der Erkenntnis: Scheiße, das hab' ich nicht im Griff. Der verantwortungsbewußte Fahrer, hofft Herr Plecher vom ADAC, fährt nach dem Training vorsichtiger. Nur Rowdies drückten eventuell später in trügerischem Sicherheitsgefühl heftiger auf die Tube. Doch solche kämen zu diesen Veranstaltungen nicht.

180 Mark kostet so ein Tag Autos ausbrechen lassen und wieder einfangen. Und viele Teilnehmer gehen hier zum ersten Mal so richtig ins Eisen, wie es in Instruktorenkreisen heißt. Es gibt offenbar große Bedenken, seinem Auto diese Grobheit anzutun. So verliert man im Notfall Sekunden und Meter. Ein weiterer Aha-Effekt stellt sich ein, wenn stolze Besitzer einer Bremshilfe namens ABS bemerken, daß diese nicht immer besser verzögert als die konventionelle Bremse. Denn ABS möchte auf Teufel komm raus das Fahrzeug in der Spur halten und reduziert die Leistung einzelner Bremsen spürbar. Schier endlos werden so Bremswege auf nasser Straße.

Ein gutes Fahrtraining ist sicher für jeden Autofahrer sinnvoll und empfehlenswert. Aber warum ein Sonderkursus für Richter und Staatsanwälte? Das kann nicht alleine damit zusammenhängen, daß sowohl der Vorsitzende des ADAC Weser-Ems als auch sein Clubsyndicus Rechtsanwälte sind. Richter Darso, Verkehrsrichter am Amtsgericht Blumenthal, glaubt, daß er für seine Verkehrsstrafsachen etwas mitnehmen kann. „Wenn mir Betroffene jetzt etwas erzählen,“ sagt er nach dem Erlebnis des „Bremsschlags“, den man mit „Reinhacken“ kontern muß, um wieder auf Kurs zu kommen, „kann ich es besser verstehen. Oder sagen: So was gibt es nicht.“ Man ahnt: Richter Darso hat öfter das Gefühl, was erzählt zu bekommen.

Schön wäre es ja, da sind sich die Justizpersonen einig, wenn man einschlägigen Delinquenten die Teilnahme am Sicherheitstraining zur Auflage machen könnte. Geht aber nicht, ist rechtlich nicht möglich. Lediglich Jugendliche könnte man dazu verknacken; vielleicht bekommt das jetzt der ein oder andere in Blumenthal zu spüren.

Speziell für Jugendliche hat der ADAC auch was Schönes: einen Übungsparcourt, den die Teilnehmer unter erschwerten Bedingungen nach Stoppuhr absolvieren müssen. Volle Dröhnung Musik im Auto, Beifahrer quatschen einen dicht, und auf dem Kopf sitzt eine verdunkelnde Schweißerbrille, draußen norddeutscher Landregen – eine typische Discofahrt eben. Steht dann plötzlich der Elch auf der Straße, haben er und die Jugendlichen ebenso wenig Chancen wie flotte Richter und rasante Staatsanwälte. BuS