Vom Knallfrosch zum Belauerer

■ Eine kleine Hamburger Ringer-Hoffnung: Valentin Lehmann, begleitet von Stefan Kreft

Plötzlich ist der eine abgetaucht, der andere abgehoben und landet rückwärts auf der Matte. Der Däne setzt nach und drückt Valentins Schultern zu Boden. Gerade eben hatten sich die beiden Ringer noch gegenübergestanden, weit nach vorn gebeugt, in nervösen Andeutungen Kopf und Schultern des Kontrahenten beharkend – dann der entscheidende Kopf-Hüft-Schwung. Aus durch Schultersieg.

„Ich hab– nicht aufgepaßt, als dieser Griff plötzlich kam“, kommentiert Valentin Lehmann. Für seine kurzen zwölf Lebensjahre hat der Steppke schon eine ganze Menge Ringkampferfahrung: Seit viereinhalb Jahren übt er sich in den Griffen und Würfen des antiken Sports. „Die Arbeit mit Valentin macht richtig Spaß. Wenn ich mich erinnere, was für ein Knallfrosch an Unaufmerksamkeit und Verspieltheit er früher war...“ Sein Trainer Klaus Kolodzick vom gastgebenden SC Roland bleibt ganz ruhig angesichts der unglücklichen Niederlage seines Schützlings.

Auf dem gestrigen Internationalen Weihnachtsturnier für Jugendringkampf im Steilshooper Sportzentrum am Gropiusring war der Trainer damit wohltuender Kontrast zu einigen seiner Kollegen, die mit ehrgeizviolettem Gesicht brüllten bis zum Stimmausfall. Für das Flair von Internationalität unter den 103 Jung-Schwerathleten sorgte diesmal die dänische Jugendnationalmannschaft.

Von Stralsund bis Leipzig war der Osten nicht nur zahlenmäßig stark vertreten. Auch die Ringer-Hochburgen Essen und Witten hatten Teams nach Hamburg geschickt. Manche Übungsleiter ereiferten sich gar bis zum Platzverweis, wenn sie sich mit Kampfrichtern von feinfühligerem oder ungeduldigerem Wesen angelegt hatten.

Dabei hat Ringen durchaus Stil. Da wird nicht gecatcht und nicht gewrestelt. Aus den heftigen Wechseln von Belauern und unvermitteltem Griff und aus der sauberen technischen Präzision guter Ringer bezieht ein Ringkampf seine Spannung. Trotzdem bleibt es ein Kraftsport: „Zweimal habe ich mir das Knie angeknackst, und einmal den Fuß“, erzählt Valentin. Dennoch korrigiert sein Trainer jede Verletzungs-Paranoia im Vorfeld: „Wir haben gar nicht so viele Verletzungen, denn Ringer verfügen über eine gute körperliche Fitneß.“ Allerdings hat sich Valentins Cousin Vadim Obert, laut Kolodzick „das große Vorbild für die anderen“, vor einer Woche beim Training den Kiefer angebrochen.

Valentin hat keine Idole. Der Ursprung seiner Faszination für die stilvollen Hakeleien auf der Matte liegt viel näher: Bruder und Cousin ringen ebenfalls, und sein Onkel ist früher sogar Ringtrainer gewesen. Ein Idealfall von Mundpropaganda, die Klaus Kolodzick, nebenbei auch Vorsitzender des Hamburger Schwerathletik-Verbandes, gerne viel öfter sehen würde. Denn der Nachwuchs macht ihm Sorgen. Sein Verein ist mit 120 aktiven Ringern der größte in Hamburg. „Für eine vernünftige Aufbauarbeit müßten es aber eigentlich dreimal so viele sein.“

Valentin geht in die fünfte Klasse der Bramfelder Dorfplatzschule. Neben Sport (am liebsten Fußball, Ringen ist kein Schulsportfach) mag er Mathematik. Weil er viermal die Woche zum Training gehe, habe er ansonsten „keine Zeit für anderes“. Das läßt seinen Trainer schmunzeln: „Das würde er wohl gerne. Tatsächlich schafft er es vielleicht zweieinhalbmal.“

In seinem nächsten Kampf erwischt es Valentin mehrmals schmerzhaft am Arm, so daß er die eine Minute Behandlungspause voll in Anspruch nehmen muß. Kolodzick kommentiert: „Das Abtrainieren von zwei Kilo hat ihn ein bißchen mitgenommen.“ Das aber mußte er, um auf die 50 Kilogramm seiner Gewichtsklasse zu kommen.

In einem verbissenen Hin und Her schaukeln sich die Punkte, die für Überroller, Armschlüssel und Schulterschwünge verteilt werden, in lichte Höhen. Nach den vier hitzigen Minuten steht es 12:13 – Valentin verschwindet ganz schnell in der Kabine. Sein Trainer trägt das mit Fassung, der Junge sei doch erst zwölf. Damit gehört der kleine Schwerathlet noch gar nicht zur C-Jugend, in der er heute mitgekämpft hat. Kolodzick bleibt dabei: „Valentin Lehmann ist eins der großen Hamburger Talente.“