„Entartete“ Oper

■ Franz Schreckers „Die Gezeichneten“

Das Italien der Renaissance: Blütezeit der Kunst. Aber auch eine Epoche von Sinnesrausch und Sadismus, der zügellosen Machtentfaltung. Eine Mischung, die unsere Urgroßväter offenbar besonders faszinierte und Anfang dieses Jahrhunderts Anstoß zu einer Reihe von skandalträchtigen Opern gab.

Zum Beispiel zu Franz Schreckers Die Gezeichneten von 1918. Diese Oper Schreckers, der die Möglichkeiten der großbürgerlichen Repräsentationsbühnen für seine damals vielgespielten Werke wie Der Schatzgräber oder Der Schmied von Gent effektiv zu nutzen wußte, hat die Decca jetzt in ihre Reihe Entartete Musik aufgenommen. Denn Schrecker, früh als „jüdischer Vielschreiber“ diffamiert, gehörte zu den ersten Künstlern, deren Werke unter den Bann der Nationalsozialisten fielen.

Schrecker fasziniert durch seine harmonische Vielschichtigkeit, den Klang- und Farbenreichtum, der das 120köpfige Orchester zum eigentlichen Hauptakteur des Dramas um den mißgestalteten Alviano und die jungfräulich-besessene Carlotta werden läßt. Alle unterdrückten wie ausgelebten Leidenschaften spiegeln sich in der schillernden Klangkulisse, die die schwärmerischen Ausbrüche der Sänger vorbereitet, allen voran Elizabeth Connell als Carlotta, die als einzige das weite Ausdrucksspektrum ihrer Rolle vermitteln kann.

Hamburgs Haustenor Heinz Kruse in der Rolle des Alviano beschränkt sich jedoch weitgehend darauf, mit seinem Stimmaterial zu glänzen, ohne die Gebrochenheit der Figur – ein enger Verwandter von Victor Hugos Quasimodo – wirklich glaubhaft machen zu können. Trotzdem, für alle Freunde der Frau ohne Schatten und der Toten Stadt stellt die Aufnahme die bei weitem bedeutsamste Repertoireergänzung seit langem dar.

Jörg Königsdorf

Franz Schrecker, Die Gezeichneten, Decca (3CDs)