Semi-Profis im Hawaii-Hemd

■ Übertriebener Kamera-Einsatz bei Linda Tillerys Chor und Taj Mahal am Donnerstag

Ein Festival im Zeitalter seiner multimedialen Verwertbarkeit. Oder Verwurstung? Nicht weniger als fünf Kameras jedenfalls hielten, fuhren, schwenkten auf ebensoviele Frauen auf der Bühne im kaum halb gefüllten Zelt vor den Deichtorhallen zum Auftakt des diesjährigen Westport-Festivals. Das irritierte nicht nur einige zahlende Gäste sondern auch Linda Tillery und ihren Heritage Choir.

Es war schön anzusehen, wie sie in farbenprächtigem Traditional-Gewand Anmut gegen die Zumutungen der bedenkenlosen Bildmaschinerie setzten, wie sie Würde und Stolz behaupten konnten. Die Musik hat dabei natürlich geholfen, selbstbewußt inszeniertes Ensemble-Glück zwischen Soul-Elevation und Gospel-Ekstase, rasender Percussion-Orgie und perfekt gesetzten Vocal-Harmonien. Viel Beifall, eine Zugabe.

Als Taj Mahal und seine Hula Blues-Abordnung nach angenehm bemessener Pause (ein Bier, eine Bratwurst) vor die Kameras traten, fehlte plötzlich eine. Was wenig Sinn zu machen schien, denn nun standen plötzlich nicht weniger als acht sämtlichst in Hawaii-Hemden gehüllte Männer auf der Bühne, die sich neben klassischen Blues-Instrumenten auch um so hübsche Musikwerkzeuge wie eine Steel Guitar und gleich drei verschiedene Ukulelen kümmerten.

Das taten sie lässig, mit jener Mischung aus Hingabe und Beiläufigkeit, die Semi-Profis im Jahresurlaub eigen zu sein scheint. Ein regelmäßiger eingestreuter Off-Beat brachte Bewegung in die Bude. Ska? Reggae? Irgend sowas.

Und wenn gar nichts mehr half, schwang Taj halt die kleine Entertainment-Keule des charismatischen Bühnenroutiniers oder lockte mit wehmütigem Aloha-Feeling zur Südsee-Siesta. Um das Idyll dann flugs wieder aufzubrechen, etwa mit der unsterblichen Geschichte um Betty, die doch unbedingt diesen Diamanten will von ihrem Dupree. Oder mit stoischem Hauruck-Blues und Stimm-Mimikry zwischen Hooker und Waits.

„Everybody is somebody“, lautete die Devise des Abends, die der Hüne Mahal mit knarzend-schnarrender Stimme schon früh ausgegeben hatte. Und: „Nobody is nobody.“ Vielleicht können Utopien heute, da alle deren Verlust beklagen, nur noch im Fernen blühen. Und im Fernweh. Wollen wir nicht alle ein bißchen Hawaii? Doch plötzlich ein helles Licht zu meiner Rechten. Die Kamera. Sie brach den Zauber wieder. Jörg Feyer