Pure Proust Passion

Obsessive Literaturrecherche überschwemmt das Museum für Kunst und Gewerbe  ■ Von Hajo Schiff

Schreiben als unendlicher Fluß, der auch dem Leser nicht zeitintensivste Bemühung erspart: Dafür steht Marcel Proust und seine „Suche nach der verlorenen Zeit“. Und so hat auch die Hamburger Ausstellung der größten Privatsammlung von Proustiana etwas Überbordendes. In Zusammenarbeit mit dem Schleswig-Holstein-Musik-Festivals, der Marcel-Proust-Gesellschaft und dem Museums für Kunst und Gewerbe wird der genau heute vor 128 Jahren geborene Dichter mit einem Symposion, Lesungen, Vorträgen und Musik geehrt. Das alles umrankt die Präsentation der Proust gewidmeten Sammlung des Kölners Reiner Speck.

Der Arzt, der über „Das Medizinische im Werk Gottfried Benns“ promoviert hat, ist immer bemüht, mindestens „drei Dinge gleichzeitig zu tun, ohne daß es jemand merkt“. Vor allem ist der Arzt und Autor, Bücherwurm und Augenmensch ein Sammler durch und durch. Neben seiner Biblioteca Proustiana verfügt der sympathische Urologe über die größte in Privatbesitz befindliche Sammlung zum italienischen Dichter und Humanisten Francesco Petrarca. Doch er verwendet seine Augen nicht nur zum Lesen, er hat auch eine große Sammlung aktueller Kunst, die unter dem Titel „Wort und Weise“ zur Zeit gerade in Dresden ausgestellt wird. Dabei spannt sich der Bogen des Interesses von Joseph Beuys zu Cy Twombly. Auch Sigmar Polke ist so gut vertreten, daß auch für die kommende Woche in der Hamburger Kunsthalle beginnende Ausstellung Leihgaben aus der Sammlung Speck kommen.

Im Museum für Kunst und Gewerbe befriedigen eigenhändig korrigierte Druckfahnen, edle Widmungsexemplare, bisher unveröffentlichte Pastiches, und vor allem kleine Zeichnungen von Marcel Proust in schönen alten Holzvitrinen die Suche nach der Aura des Originals. Und darüber hinaus verströmt sich sälelang die Wirkungsgeschichte: Proust übersetzt ins japanische und schnell komsumierbar gemacht als Comic, viele Dissertationen und nahezu die komplette Sekundärliteratur, samt einer Gesamtausgabe, die nach Stellen verzettelt ist, an denen sich Arztsohn Proust zu medizinischen Themen äußert, ja auch die LP mit der Musik von Hans Werner Henze zu „Swanns Welt“ fehlt nicht.

Einige Originalfotos von Edward Steichen und Objekte aus der berühmten Jugendstilsammlung des Museums lockern die Büchervitrinen auf. Doch gerade die Zuordnung Prousts zur Belle Epoque wollen die Ausstellung und das bis heute laufende dreizehnte Symposion der Proust-Gesellschaft erweitern: beides betont Proust als Autor der Moderne mit Bezügen zu Joyce, Kafka oder dem Kubismus.

Für einen Privatsammler wie Reiner Speck ist es heute schwer, neues Material zu erlangen. Die Preise für immer mal wieder auftauchende Autographen Prousts explodieren: Ein einziger Brief wird heute für etwa 150.000 Mark versteigert. Solche Dimensionen begrenzen das weitere Wachstum der Sammlung, die aus etwa 2500 Stücken besteht.

Aber eigentlich ist der Ort für die Begeisterung an einer Welt voller spezieller Bezüge weder die Museumsvitrine, noch das Buch. Es ist der individuelle Strom der Gedanken im Kopf eines jeden Liebhabers. Was man also vor allem zum Genuß dieser Ausstellung braucht, findet sich auch im Proust-Zitat: „Jene Sympathie, die die Herzen und selbst Charaktere aller derjenigen eint, die über einen Gegenstand von fundamentaler Wichtigkeit die gleiche Meinung haben.“

Bis 29. August.