Kleine Durchgucker im Korsett

Zu Fleisch gewordene Bilder aus dem 17. Jahrhundert und eine Kollektion für die Chansonsängerin Patricia Kaas: Die Jahrespräsentation von Vivienne Westwoods Modeklasse im Schloß Charlottenburg  ■   Von Jenni Zylka

Angeblich machen die ModeschülerInnen von Prof. Vivienne Westwood an der HdK sowieso immer das gleiche, spotten Modeinteressierte gerne: eben 100 Prozent Vivienne Westwood. Jedesmal Cul-de-Paris-Popöchen, in Korsetts und Korsagen gestopfte Brüste aus Beton, Schottenmuster, Schnürstiefelchen.

Abwartend saß man also in der Orangerie des Schlosses Charlottenburg, um das diesjährige Abschlußdefilé der Modeklasse zu begutachten. Es ging um die Themen 17. Jahrhundert (Kostümgeschichte), Students & Friends (die Studierenden entwerfen ein Outfit für sich selbst) und um eine Kollektion für die französische Chansonsängerin Patricia Kaas, die laut angehenden DesignerInnen „aufgrund ihrer besonderen Star-Aura zum inspirierenden Leitmotiv“ wurde.

Passend zu der Frage, wie inspirierend die eher spießig-konservative Chansonette denn nun für junge, wilde Modemenschen sein kann, erzählt Frau Westwood der Presse gleich, daß sie selbst „nie eine Rebellin sein wollte“. Und dann läßt sie sich, die selbst in eine Art mittelalterlichen Bauernlook gehüllt ist (aprikotfarbener Haarschopf und beiges, zerrissenes Jäckchen über einem stoffreichen Rock mit roten Streifen auf leuchtendem Grün), über die langweilige amerikanische Mode in den europäischen Großstädten aus: T-Shirts anstatt eigener Stilideen.

Noch ein paar Worte zu der Bequemheit von Korsetts, und los geht es mit fleischgewordenen Bildern des 17. Jahrhunderts. Ludwig XIV. stolziert vorbei, mit Schärpen und Schleifen aufgeputzt wie ein Pfau. Seine Mätresse hat ihre weiblichen Rundungen so hoch geschnürt, das sie drohen, ans Kinn zu stoßen. Der Höhepunkt aber ist das Kleid einer Edeldame, dessen ausgestellter, mit hunderten kleinen Aluschleifchen besetzter Rock so breit ist, daß er rechts und links über den Teppich ragt. Am Ende kann die Trägerin sich auf dem Laufsteg kaum noch umdrehen. Das dunkelblaue Kleid trägt das Model, nicht umgekehrt.

Die Mode, die die Studierenden für sich selbst schneidern sollten, ist bis auf wenige Ausnahmen doch recht langweilig. Tragbar geradezu, wenn auch bestimmt schwer anzuziehen. Schlafanzüge, Anzüge, Röcke und Kleider aus dicken, steifen Stoffen: gerafft und gewickelt, kaum genäht, will man meinen. Die oft glänzenden Farben reichen von Grau bis zu einem rot-golden gestreiften Abendkleid, das am Dekollete nur eine sexy Hebe hat und den Busen frei läßt. Die Hosen sind wie immer Capri oder ganz lang, die Ärmel gehen selten weiter als bis zum Ellenbogen.

Die Patricia-Kaas-Kollektion, deren erste Präsentation die Sängerin wegen Flugverspätung nicht miterleben konnte, hält sich in Grüntönen. Ein paar Kleider sind in Schwarz und Grau, und ein sehr schönes, vorne am Körper absolut raffiniert zusammengerafftes, knielanges creme-gold-farbenes Lurexjerseykleid gönnt man ihr.

Für ihre Auftritte soll Frau Kaas etwa ein Minikorsagenkleid aus grünem Leder anziehen, das den Hintern freiläßt, oder sich in Gold- oder Silberlamépannesamt hüllen, der überall kleine Löcher und Durchgucker hat. Die Haare soll sie sich komplett verstrubbeln.

Zwei Diplomandinnen zeigen zum Abschluß „Des Bürgers Weib in der Renaissance“ und „Frauenbilder unter Einfluß der Französischen Revolution“. Hier wird der Einfluß ihrer Professorin, wir erinnern uns, Cul-de-Paris und so, am deutlichsten sichtbar: Der Po zeigt nach oben, die Taille ist klar erkennbar, die Schuhe sind Schnürstiefelchen oder sonstige High-Heels, allerorten kurze, taillierte Jäckchen. Und dabei hatte Frau Westwood doch vorher so über den Despoten Ludwig XIV. gelästert, der mit seinem Geschmack die gesamte Mode des Jahrhunderts dominieren wollte.