Made hin, Monade her

■ Ein Verleser ist nie so peinlich wie ein Versprecher, weil man ihn nicht hören kann

Wie schlimm es um mich stand, ahnte ich lange Zeit nicht, denn es begann ziemlich harmlos. In einem Krimi ohne mafiöse Strukturen fiel mir das Wort „Spaghettidienst“ auf. Beim zweiten Versuch klappte es besser: Das Wort lautete „Spätgottesdienst“. Ein paar Tage später in einem Möbelgeschäft lag eine Broschüre herum mit dem Titel „Petersilie“, aber das las nur ich. In Wirklichkeit war es eine „Preisliste“.

Bald wurde es ernster. Während einer Indoor-Recherche überflog ich kleingedruckte Anzeigen und stieß dabei auf ein Mittel, das „Hilfe bei Falten und Fettnäpfchen“ versprach. Ein prüfender Blick korrigierte das letzte Wort. Es hieß natürlich „Fettpölsterchen“. Ich konnte der Frage nicht mehr ausweichen, ob ich eine neue Brille brauchte oder die Hilfe eines Therapeuten in Anspruch nehmen sollte. Schon wieder? Bevor ich mich entschied, beruhigte ich mich inzwischen mit dem raffinierten Gedanken, daß ein Verleser nie so peinlich sein kann wie ein Versprecher, weil den Verleser niemand hört.

Die blitzgescheite Analyse wirkte erleichternd, ich nahm die Konfrontation mit der geschriebenen Welt wieder auf, wurde geradezu übermütig, indem ich einer Leibniz-Biographie nicht auswich. „Darin mit Kant eins,“ erklärte der Autor, „wandte sich Leibniz gegen alle Versuche eines desodorierten Bewußtseins, die neuen Wahrheiten gegen den alten Glauben auszuspielen.“ Made hin, Monade her, es mußte sich um ein desorientiertes Bewußtsein handeln. Das kam mir bekannt vor.

„Spurtstark nach Herzinfarkt“ war kurz danach die Überschrift eines Artikels im Sportteil. Doch es wurde keineswegs von einem medizinischen Wunder berichtet, sondern von einer Etappe der Niedersachsenrundfahrt, so daß es Harz-Bergfahrt heißen mußte. An einem Kiosk wartete die nächste Überraschung, die man kaum so nennen konnte, denn ich war mittlerweile gefaßt auf munter sich vertauschende, blind sich einschummelnde Buchstaben, die aber, wie ich nach wie vor hoffte, keinem instabilen geistigen Zustand geschuldet waren, sondern nur meiner chronischen Unaufmerksamkeit.

Die Zeit machte ihre neue Ausgabe mit einem einzigen Wort in fettestem Schwarz auf: Schoko-Therapie. Das stand selbstverständlich nicht da. Die Sache war, wie in der Zeit üblich, viel ernster und gewichtiger, es ging um nichts geringeres als um eine Schock-Therapie. Daß die mir bevorstand, wußte ich in diesem Moment noch nicht. Ohne Böses zu ahnen, streunte ich an dem Bücherregal im heimischen Flur vorbei. In Augenhöhe stehen die Fachbücher und Ratgeber zur Kinderaufzucht. Da fiel mein Blick auf den Rücken eines Buches: „O je, ich wichse“. Nach einem artigen Schrecken fühlte ich mich nicht ertappt, wieso denn auch, bloß ein bißchen benommen und irritiert, ein Zustand, den die korrekte Lesart „O je, ich wachse“ nur leicht lindern konnte.

Bis zu diesem Zeitpunkt meines Lebens war ich, jedesmal wenn ich fürchtete, mein Über-Ich und mein Es stritten sich, froh gewesen, daß ich Freuds Drei-Instanzen-Modell für faulen Zauber halte. Daran sollte sich wenn möglich nichts ändern. Erste Fortschritte zeigten sich wenig später bei einer zufälligen Begegnung mit der Kramkiste vor einem Antiquariat. Auf dem Cover eines Taschenbuch stand der Titel „Zwei Frauen“, ich hatte jedoch „Zuviele Frauen“ entziffert. Damit war der Onanie-Vorwurf endgültig vom Tisch. Und die teuflische Verleserei hatte tatsächlich ein Ende. Auf dem Schild im Schaufenster der Fleischerei empfahl der Meister wirklich „Käsegriller, Hirtenspieße, Hacksteakgesichter“. Und im Supermarkt auf der holländischen Insel stand in echt was von „Droge Mettworst“.

Ich war wieder gelandet. Daran änderte auch die, nennen wir es Fußnote zu diesem Erlebnisbericht nichts, die ein Verlagsprospekt mit der Herbstvorschau hinzufügte. Darin war ein Buch über „Emailmalerei“ angekündigt. Über „Emailmalerei“? Nein, soweit war die global digitalisierte Welt denn doch noch nicht. Dietrich zur Nedden