Weitergebildet zur Love Parade

Eine Woche lang stimmten sich Jugendliche aus Frankfurt und Kassel im Bildungsurlaub auf die Love Parade ein. Auch sie wollen am Ende nur Spaß    ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Die Hose muß weit sein. Das T-Shirt soll auffallen. Also wird Micha das mit Miss Piggy anziehen. Passend dazu will der 19jährige seine kurzen blonden Haare mit den vier abstehenden Zöpfen, die vorher dunkelblond waren, schweinchenrosa färben und eine gelbe Sonnenbrille aufsetzen. Seine Freundin Silke mag es nicht ganz so ausgefallen. Sie hat sich nur die Haare, die eigentlich blond sind, violett gefärbt. „Etwas muß schon besonders sein“, sagt die 21jährige.

Für Micha, Silke und sieben andere Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren hat die Love Parade schon vor einer Woche angefangen. Der angehende Chemiker und die zukünftige Biologielaborantin, die beide bei Hoechst in Frankfurt lernen, und sieben weitere Lehrlinge von VW aus Kassel haben wegen der Love Parade eine ganze Woche frei bekommen. Nicht, um sich in Ruhe stylen zu können, sondern um sich weiterzubilden. Unter dem Motto „Berliner Jugendszene zwischen Beliebigkeit und politischer Positionsbestimmung“ besuchen sie ein Bildungsurlaubsseminar, das unter anderem von der Bundeszentrale für Politische Bildung und dem Deutschen Gewerkschaftsbund gefördert wird.

Wer erwartet hat, daß diese Jugendlichen weniger als andere auf die Love Parade abfahren, hat sich geirrt. Sie sind nur cleverer. Durch die Teilnahme haben sie nicht nur eine Woche frei, sondern für 200 Mark eine billige Übernachtung samt Verpflegung in unmittelbarer Nähe der Demo-Route. Ganz unverhohlen bekennen sie sich denn auch zur Motivation für ihren Bildungsurlaub: „Die Love Parade ist der Hauptgrund“, sagt Silke. „Eine Woche Urlaub ist immer was Schönes“, so Sebastian. „Ich will gucken, was abgeht in Berlin“, meint ein anderer. Nur Michael, eher konservativ, gibt an, sich mit dem Seminar auf die Love Parade „vorbereiten“ zu wollen.

Obwohl der Großteil der Gruppe auf HipHop steht, beschäftigen sie sich seit Montag mit dem Für und Wider des Techno-Events, reden mit Drogenberatern, besuchen Technoclubs und machen Stadtteilführungen. Als Eberhard Elfert, 39jähriger Kunsthistoriker und Referent, wissen will, wie kommerziell die Love Parade sein dürfe, stellt Micha klar: „Die heutige Jugend denkt nicht so nach über Geld.“ Die anderen nicken zustimmend, und zum Beweis erzählt einer, daß er sich erst am Montag eine 200 Mark teure Sonnenbrille gekauft habe. „Wenn sich eine Million Menschen lieben, kann es auch ein bißchen kommerziell sein“, ergänzt Michael. Auch Silke hat kein Problem damit, daß es „nur um Party, Drogen, Alk, Abfeiern und Gut- drauf-Sein“ geht. Sie glaubt schon lange nicht mehr, daß sich „alle lieb haben“. Nur eines gefällt ihr gar nicht. „Das Technoimage ist nicht ehrlich“, sagt sie. „Leute, mit denen ich mich abends supergut unterhielt, haben mich am nächsten Tag auf der Straße nicht mal mehr angeguckt“. Sie wisse jetzt, daß das an den Drogen liege.

Ein Thema, bei dem auch die sonst zurückhaltenden Jugendlichen aufspringen, ist die Teilnahme der Jungen Union (JU) mit einem eigenen Wagen und das Vorhaben der Mutterpartei, Aufnahmen von der Love Parade für den Wahlkampf zu verwenden. „Das ist extreme Wahlkampagne“, muß sich der Berliner Landesvorsitzende Thorsten Reschke anhören, der sich der Diskussion stellt. Als Reschke immer wieder betont, daß es „nicht um Wählerfang“ gehe, beharrt Marius auf seiner Überzeugung: „Ihr habt doch Hintergedanken.“ Während andere von „Verdummung“ und unlauterer Beeinflussung von Jugendlichen sprechen, bleibt Mario still und kritzelt seine Meinung dazu in eine Musikzeitschrift: „Techno ist der Müll dieser Zeit“ und „Mit HipHop lebt es sich besser“.

Die Ziele des Seminars sind nach Angaben von Referent Elfert, daß die Jugendlichen „mit einer eigenen Meinung hinausgehen und lernen, in Arbeitsgruppen zu arbeiten“. Referentin Silja Köchel, Toningenieurin beim SFB, die sich extra Urlaub genommen hat, um den Lehrlingen die Ursprünge und verschiedenen Richtungen von Techno zu erklären, beklagt, daß die Technoszene „reflexfrei“ sei. „Die leben im Hier und Jetzt und diskutieren wenig.“ Die 39jährige weiß von „großen Bedenken“ in der Szene gegen das Bildungsseminar. „Die finden das abartig.“ So hätten Leute aus Plattenläden, die sie als Referenten gewinnen wollte, dankend abgewunken. Der Grund: „Techno soll ein Insider-Ding bleiben“, so Köchel.

Um doch einen klitzekleinen Blick hinter die Kulissen zu werfen, werden die Seminarteilnehmer heute mit speziellen „Einsatzaufträgen“ unterwegs sein. Während die einen verstärkt nach den „Botschaften“ auf den Wagen schauen wollen, werden andere beim Zelt von Eve & Rave vorbeigehen, einem Verein „zur Förderung der Partykultur und Minderung der Drogenproblematik“, um herauszufinden: „Warum drehen die durch?“ Wieder andere werden Ausschau halten nach „verdächtigen“ Proms auf den Wagen, die die Love Parade als Wahlkampfbühne mißbrauchen. Nur Micha, der seine Erwartungen an den heutigen Tag mit vier Buchstaben umfaßt – „Spaß!“ – hat seinen ganz eigenen Zugang zum Thema. Ihn interessiert „die Vielfalt der BHs“, die die Mädchen tragen.