Zahlt IG Farben Entschädigung?

■  Das Nachfolgeunternehmen des Nazi-Konzerns will eine Stiftung für die Entschädigung von Zwangsarbeitern gründen – mit nur drei Millionen Mark. Aktionäre müssen zustimmen

Berlin (taz) – Gestern kündigten die Liquidatoren „IG Farben in Abwicklung“, Otto Bernhardt und Volker Pollehn, an, sie würden bei der nächsten Hauptversammlung am 18. August die Einrichtung einer Stiftung für die Entschädigung von Zwangsarbeitern vorschlagen. Das Stiftungsvermögen soll ganze drei Millionen Mark betragen.

Die beiden Vorständler sind sich allerdings nicht sicher, ob der Vorschlag bei den Aktionären des Konzernrests durchkommen wird. Die Aktionäre hoffen immer noch, daß die Abwicklungsgesellschaft Forderungen aus der Zeit vor 1945 gegen ausländische Firmen realisieren kann, z. B. gegen die Schweizer Bank UBS, die die Vermögenswerte des zu den IG Farben gehörigen früheren Konzerns IG Chemie übernommen hat. Auch glaubt man trotz eines abweisenden Urteils letzter Instanz in der Bundesrepublik immer noch, Ansprüche auf Immobilien auf dem Boden der DDR durchsetzen zu können – vermittels einer Klage vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Wegen dieser Forderungen werden Aktien der IG Farben i. A. nach wie vor aus Spekulationsgründen gekauft.

Die IG Farben profitierte wie kein anderes Unternehmen während des 2. Weltkriegs von der Zwangsarbeit, und dies sowohl durch Industrieanlagen innerhalb von Konzentrationslagern (Auschwitz-Monowitz) als auch in den Werken des In- wie des besetzten Auslands. Nach 1945 wurde der Konzern durch die Allierten entflochten, die neuen Teilfirmen (u. a. Bayer Leverkusen, Uerdingen und BASF) wehrten Entschädigungsansprüche mit dem Hinweis ab, sie seien Neugründungen und für die Begleichung noch bestehender Forderungen sei die Liquidationsgesellschaft zuständig.

Diese zahlte 1957 rund 30 Millionen Entschädigung an jüdische Zwangsarbeiter, die ihren Wohnsitz nach 1945 in einem westlichen Land hatten. Nichtjüdische Zwangsarbeiter in Deutschland sowie alle Sklavenarbeiter im Osten Europas gingen leer aus.

Der Stiftungsvorschlag wird von den Initiativen und Verbänden, die sich zum „Bündnis gegen die IG Farben“ zusammengeschlossen haben, scharf abgelehnt. Der Sprecher des Bündnisses, Georg Brau, bezeichnete gestern das Stiftungsprojekt als „finanziell und organisatorisch ungenügend“. Seit langem fordern ehemalige Zwangsarbeiter und deren Organisationen die sofortige Auflösung der Liquidationsgesellschaft und die Verteilung ihres Kapitals an die überlebenden Opfer der IG Farben. Sie halten es für unerträglich, daß mit Wertpapieren spekuliert wird, an denen das Blut so vieler Menschen klebt. Für den 18. August kündigten sie massives Erscheinen bei der Hauptversammlung an. Christian Semler