Stadt unter schwarzem Regenschirm

■  Die Nato-Luftangriffe haben die Menschen in der nordserbischen Industriestadt Pancevo überstanden. Jetzt mehren sich die Fälle von Asthma – die Angst vor den ökologischen Langzeitfolgen des Krieges geht um

Während des Krieges sah Pancevo gespenstisch aus: Über dem sonst so malerischen, an die Zeit der Habsburger erinnernden Zentrum hing dicker, grauer Dunst. Parkende Autos, Bäume und Gras in den Parks waren mit öliger Asche überzogen. Mit ihrer Rauchkappe wirkte die 17 Kilometer nordwestlich von Belgrad gelegende Stadt an der Mündung der Temesch in die Donau wie ein alter Mann mit einem schwarzen Regenschirm. Auf die Straße wagten sich nur wenige der rund 100.000 BürgerInnen: Die Gerüchte, daß sich in der Luft – aufgrund der durch die Nato-Bomben verursachten Brände – krebserregende Substanzen befänden, paralysierten das städtische Leben.

Heute wirkt Pancevo wieder ganz friedlich: Die Geschäfte sind geöffnet, die Straßen belebt, und abends treffen sich junge, schöne Menschen in den Cafés. Doch der Schein trügt. „Seit dem ersten Angriff melden sich täglich Eltern, deren Kinder asthmatische Beschwerden haben“, sagt Doktor Bauman vom örtlichen Krankenhaus. Seine Kollegen in der Gynäkologie-Abteilung berichten von vielen Frauen, die sich nach Abtreibungsmöglichkeiten erkundigen. „Am meisten fürchte ich mich davor, daß sich bisher unbekannte Symptome mehren.“

„Bisher wissen wir ja nicht einmal genau, was überhaupt über den Industrieanlagen abgeworfen worden ist“, sagt auch Doktor Jordan Aleksic von der Stiftung Green Limes aus Belgrad. Unabhängige ökologische Organisationen wie seine verfügten nicht einmal über die nötigen technischen Instrumente, um etwa die Belastung der Trinkwassers, der Luft oder der Erde genau zu bestimmen. „Die Daten, die wir so bekommen, würden niemandem auf der Welt irgend etwas sagen.“ Erschwerend käme hinzu, daß die Messungen der staatlichen Stellen beruhigend ausfallen: „Offensichtlich wird versucht, uns zu suggerieren, die Zerstörungen seien doch letztendlich gar nicht so schlimm. Wir wiederum können über die längerfristigen Folgen nur spekulieren. Sicher ist, daß die Nato-Luftangriffe auf die Industriegebiete hier, in der norserbischen Wojwodina, die Lebensbedingungen der Menschen drastisch verändert haben.“

Im Industriegebiet von Pancevo liegen unter anderem eine Rafinierie, der Kunstdüngerhersteller Azotara, das petrochemische Kombinat Lola Utva und eine Fabrik für landwirtschaftliche Flugzeuge. Hier trafen am 24. März fünf Bomben die Reservoirs der zur Produktion nötigen Chemikalien. 880 Kilogramm Natriumhydroxid, 1.000 Kilogramm Chromsäure und 910 Liter konzentrierter Kunstdünger liefen in die Temesch – tags darauf schwammen die Fische mit dem Bauch nach oben im Wasser. Am 4. April wurde die Raffinerie getroffen, acht Tage später kam es – infolge eines weiteren Angriffs – zu einem großem Brand. Ein Ammoniak-Tank, 1.400 Tonnen Etilendichlorid und 35,5 Tonnen Rohöl verbrannten. Im petrochemischen Kombinat, das unter anderem Plastikrohmasse hergestellt hatte, wurden Behälter mit dem hochgiftigen Grundstoff VCM getroffen. Die Konzentration giftiger Substanzen in der Luft stieg auf das 10.000fache an.

Mittlerweile sind alle Fabriken geschlossen, über 15.000 Menschen wurden arbeitslos. Wirklich sichtbar ist das Maß an Zerstörung am Stadtrand: Riesige, aufgeplatzte Stahlbehälter, zerbrochenes Glas, Abwasserkanäle, in denen eine ölige, dickflüssige Masse schwimmt. Es ist weniger der materielle Verlust – Fachleute sprechen von bis zu 250 Millionen Dollar, die sich hier in Rauch aufgelöst haben –, der die Menschen ängstigt. Schwere als das Vergessen ist der Gedanke an die ungewisse Zukunft.

In der unmittelbaren Nachbarschaft der zerstörten Fabriken liegt das Dorf Starcevo. Pavle Ristic, bis zum Krieg Maschinist bei Lola Utva, hat den ganzen Krieg hier zugebracht. „Mir stehen noch immer die Haare zu Berge, wenn ich daran denke“, erzählt er, „nachts habe ich nur dieses ,Fijuk‘ der Tomahwks gehört, Sekunden später schlugen sie schon in der Anlage ein. Wir haben hier jeden Einschlag gespürt und auch die Hitzewelle hinterher, das taghelle Licht der Brände.“ Obwohl Ristic und seine Frau selbst „fürchterliche Angst“ hatten, haben sie dennoch nur ihren Sohn in Sicherheit gebracht – „bei den Schwiegereltern“, wie der Ex-Maschinist erzählt. Mittlerweile ist der 15jährige in sein Elternhaus zurückgekehrt. „Für uns ist also bisher alles glimpflich verlaufen“, sagt der Vater, „aber jetzt wissen wir nicht, wie weiter.“

Die Familie besitzt ein Stück Land, ein paar Schweine, Hühner – „aber was sollen wir damit, wenn das Land und die Luft verschmutz sind“? Ristic weiß, wovon er redet. Nach dem Wahlsieg des Anti-Miloševic-Bündisses Zajedno (Gemeinsam) im Herbst 1996 war er für eine der oppositionellen Parteien ins Stadtparlament von Pancevo gewählt und zum Obmann für Ökologie bestimmt worden. „Die alten Industrieanlagen waren schon damals ein riesiges Problem“, berichtet der Nebenwerwerbslandwirt, „aber dafür hat sich bis zu den Angriffen kaum jemand interessiert.“ Immerhin das hat sich seit dem Krieg verändert: „Ich sage es Ihnen ehrlich“, so Ristic weiter, „mir tut es leid, daß sie die Raffinerie und die anderen chemischen Fabriken beschossen haben, aber Lola Utva hätte man ganz zerstören sollen – so, daß das Werk nie wieder arbeiten kann. Die Dreckschleuder war schon in Friedenszeiten gefährlich – jetzt ist sie eine ökologische Zeitbombe.“

Petar Janjatovic, Belgrad

Redakteur bei Radio Pancevo

(aus dem Serbischen: RR)