Press-Schlag
: „Mann und Volltrottel“

■ Wie Chinas Volk und Politiker auf die Niederlage im WM-Finale reagieren

3 Uhr Pekinger Zeit. Chinas Staatspräsident Jiang Zemin ließ es sich, eine Stunde vor dem Anpfiff, nicht nehmen, die epochale Bedeutung des Finales zwischen China und den USA bei der Frauenfußball-WM eigenmündig hervorzuheben. Das gesamte Volk, hieß es in seinem Telegramm, wisse den Geist des harten Kampfes und den Ruhm zu schätzen, den die Fußballerinnen der Nation bescherten.

4 Uhr. Im Internet ist zwar nicht das gesamte Volk zugange. Dafür schlägt einer der zahlreichen Fans mitten in der Nacht vor, alle mögen aufstehen und zu Hause die chinesische Nationalhymne mitsingen. Am besten laut im Chor, damit die Stimme des chinesisches Volkes dem amerikanischen Teufel ihre Seele aus dem Leibe rausjage.

5 Uhr. Die erste Warnung. Todernster Appell an die Nation: Seid vorsichtig, die Amis sind auch nicht auf den Kopf gefallen. Die könnten zurückschlagen, und zwar mit Tricks.

6 Uhr: Als gestern morgen das Ergebnis feststand, fand das chinesische Volk zurück zur Fairneß. Man möge den Mädels doch nicht zuviel abverlangen, rief eine Zuschauerin im Realplay-Fernsehen des Internets den Verliererinnen zu – mit Tränen in den Augen. Zu Tränen suchte ein Zuschauer die Mädels der Nation zu rühren: „Ihr seid trotz des verlorenen Spiels tausendmal tüchtiger als ich, ein Mann und Volltrottel!“

Viel Platz haben jetzt nüchterne Fachsimpler, von denen niemand noch davon wissen wollte, was die Fußballerinnen vor dem Spiel geschworen hatten: Fünf Tore für fünf Raketen, die die Amis auf unsere Botschaft abgefeuert haben.

Jetzt ist Coolness angesagt, die Taktik ist schuld; oder war es die Kondition? Ja, eigentlich müsse an der Wurzel gearbeitet werden: Der Frauenfußball brauche mehr Geld, mehr Presse, mehr Fans, mehr Zuwendung. „Lügen wir uns nicht in die Tasche, Männer“, teilte ein Internet-Diskutant mit, „ihr ruft, ihr liebt unsere Frauenfußballmannschaft. Aber ist auch nur einer bereit, mit einer unserer Heldinnen zu schmusen, so hart auf hart?“

8 Uhr: Vom Ruhm, geschweige denn von Zärtlichkeit redete auch die Politik in Peking nicht mehr. Vizepremier Li Lanqing erwähnt in seinem Glückwunschtelegramm nur noch den harten Kampf, dessen Geist die Fußballerinnen voll zur Geltung gebracht hätten. Davon solle sich das Volk eine Scheibe abschneiden.

Bloß denkt aus dem Volk niemand daran, sondern allenfalls darüber nach, jeder der nun heimkehrenden Märtyrerinnen eine Million Yüan Bonus zu zahlen (etwa 200.000 Mark), wie ein Internet-Diskutant heroisch vorschlug: „Ich für meine Winzigkeit spende 500.000!“ Shi Ming