Einäugig, aber nicht blauäugig

■ 13 TV-Leute entwickeln gewagte Stoffe, die sehenswert klingen. Sender winken ab

Und und und“, sagt Klaus Michel. Er sagt es oft – so als gingen ihm zwar die Sätze aus, aber nicht die Ideen.

Und hat er nicht recht? Wäre das etwa keine Bereicherung für die Eintönigkeit des Großstadtkrimi-, Krankenhaus- und US-Serienfernsehens: eine „Slasher-Soap“ zum Beispiel, in der es einmal nicht nur um Liebe, Leid und Liebesleid geht, sondern um einen geheimnisvollen Serienmörder, der die Seifenopernpersonage nach und nach hinwegrafft, während alle so tun, als wär' nix? Und wenn's denn schon unbedingt Serienkrimi sein soll, wenigstens einer mit eigenwilligen „Cycops“, einem holographisch-humoristischen Polizistenduo? Und was, wenn demnächst unter dem Label „Planet B“ die guten alten B-Movie wiederentdeckt und in halbstündigen (!) Episoden in die unmögliche Welt des Fantasy-, Horror- und Science-fiction-Trash entführen würde? Würden wir da wirklich zu „Kommissar Rex“ oder „City-Express“ umschalten?

Klaus Michel, der junge Mann mit den vielen „unds“, ist Geschäftsführer des Berliner Unternehmens Cyclops' Eye. „Wir sind Stoffproduzenten“, sagt Michel auch oft. Vielleicht weil ihm das Wort so gut gefällt, vielleicht zur Selbstvergewisserung oder damit's richtig in der Zeitung steht.

Seit Januar 1998 nämlich, so steht's immerhin schon im „Unternehmenstelegramm“, hat Cyclops's Eye „ein Netzwerk von 13 Autoren, drei Stoffproducern und einer eigenen Dramaturgieabteilung aufgebaut.“ Nur ein Büro hat das Netzwerk noch nicht. So trifft man sich eben beispielsweise in der Hochparterrewohnung von Klaus Michel. Hauptberuflich ist er für die „Business Affairs“ zuständig, hat zuvor „Philosophie und ein bißchen VWL und Jura“ studiert – und Kaffee (starken Kaffee!) gekocht, obwohl er selber lieber Cola light (viel Cola light!) trinkt.

Dabei redet er, gemeinsam mit der 29jährigen „Stoffentwicklerin“ Angelika Richter, von der kleinen Firma. Und von ihren ehrgeizigen Projekten eben, die von den wackeren Zyklopen als ausdifferenzierte Konzeptionen vorliegen. Welche bereits den zuständigen Redakteuren der fünf Programme mit Eigenproduktionen (ARD, ZDF, Sat.1, RTL, Pro7) und zahllosen Produktionsfirmen „aufs Auge gedrückt“ (Michel) wurden. Der Mix aus gezügelter Kreativität, ungebremstem Mutwillen und einem Einsehen in Produktions- und Marktmechanismen mündet dabei in Konzeptionen, die bei aller Kühnheit des Einfalls immer auch im deutschen Fernsehen realisierbar bleiben sollen. „Wir sind kein Verein zum Rumspinnen“, sagt Richter.

Die gelernte Film- und Fernsehwissenschaftlerin (die sich derzeit zum Script-Consultant weiterbilden läßt) und Kollege Michel erzählen wie junge, enthusiastische Menschen erzählen: seriös von den Anfängen, launig von den vielen Absagen und gewissenhaft von den Abgrenzungen einer „Stoffproduktion“ von artverwandten Unternehmungen – einerseits den Scriptautoren-Agenturen im allgemeinen, andererseits dem angesagten Drehbuchentwicklungs-Dienstleister „Script-House“ im speziellen.

Dann wieder schweift das Gespräch zu den Projekten: Daß „Hometown“, die Slasher-Soap, gerade auf Eis liegt, weil das Konzept hierzulande vielen zu amerikanisch erscheine, während die US-Sender ihrerseits wegen des Schülermassakers in Littletown lieber „massenweise Gewaltverzichts-Erklärungen“ verfassen und die Finger vom blutigen Spaß lassen wollen. Daß die „Cycops“ von der Monaco-Film gerade eine Anschubfinanzierung für die Ausarbeitung der Drehbücher bekommen soll. Daß ihnen die Ideen nicht ausgehen.

Und immer geht's auch um „Planet B“, der kreativen „Gebär-Mutter“ von Cyclops' Eye, und darum, daß hippe Produktionsfirmen wie die Berliner X-Film (“Lola rennt“, „Meschugge“ usw.) B-Movies zwar „für nicht konzeptionierbar“ halten, Till Schweigers Ex-Produktionsfirma Checkpoint sich aber der mutwilligen Wiederentdeckung des Billig-genres angenommen hat, um daraus – statt origineller 25-Minüter fürs TV – immerhin eine Reihe 80minütiger Kinofilme zu machen. Eine Konzession an den sensiblen Markt, der verzwickter geworden ist, weswegen das „ideendominierte“ Cyclops' Eye „wirtschaftlich professioneller“ werden und auch als eine Art Dienstleistungsunternehmen arbeiten will.

Fürderhin sollen nicht nur die eigenen durchdachten Stoffe angeboten, sondern gemeinsam mit Redakteuren, Produzenten, eigenem Know-how und Kreativität an die Weiterentwicklung oder Neukonzeptionierung des Ungewöhnlichen „inklusive Dramaturgie, Projektleitung und Verträge“ gearbeitet werden. Ein pragmatisches Zugeständnis: Immerhin macht sie eine solche Erweiterung der Firmenaktivitäten bei den Banken kreditwürdiger.

Denn das Wagnis der neuen Idee hat's nicht leicht in einem Land, in dem ein Georg Althammer, TV-Veteran von der Monaco-Film und Erfinder der ZDF-Serie „Ein Fall für zwei“, die Kombination Detektiv/Rechtsanwalt noch immer für eine Innovation hält. Und wie schwer es ist, Norm und Zuschauererwartung auch nur minimal zu variieren, zeigt derzeit die Daily Soap „Mallorca“: Mußte doch Pro7 erst jüngst erneut seine Werbepreise senken, weil zu wenig Zuschauer bereit sind, bei unaufgeregt-sympathischen Inselgeschichten abseits des Ballermann zuzuschalten.

Und wie schwer sich Sender, Redaktionen und Produzenten tun, zeigte jüngst eine Veranstaltungsreihe in Köln: Dort veranstaltete die Entertainment-Agentur Barbarella „Readings“, bei denen (namhafte) Schauspieler öffentlich aus unveröffentlichten Drehbüchern lasen. Untertitel „Neues aus dem Giftschrank“ – denn, fast jeder Ideenverwalter habe, so die Veranstalter, seine Projektschätzchen griffbereit in der Schublade liegen, wo sie mangels Risikobereitschaft – und zum Leidwesen des Zuschauers – einstauben.

So gesehen kann man sich beim Lesen der Konzepte von Cyclops' Eye – leider – nur zu gut vorstellen, den Fernseher einzuschalten und sich alsdann von den sperrigen Zyklopädien überraschen zu lassen. Als Trost bleibt da nur der Volksmund: „Im Land der Blinden“, sagt man, „ist der Einäugige König.“ Christoph Schultheis