■  Der Protest der iranischen Hochschüler könnte für das Regime in Teheran gefährlicher werden, als es bislang den Anschein hat. Sollte der Funken wie vor 20 Jahren beim Sturz des Schahs auf die Bevölkerung überspringen, wären die Tage der Islamischen Republik gezählt
: Die Revolte beginnt auf dem Campus

Eigentlich ist Teherans Universität ein Hort des Konservativismus. Für Frauen gelten strenge Bekleidungsvorschriften, geschlechterübergreifende Kontakte außerhalb der Vorlesungen sind tabu. Die Nischen, die sich viele IranerInnen in der Islamischen Republik geschaffen haben, sind hier noch ein wenig enger als sonst. Wenn Studentin und Student sich etwas zu sagen haben, gehen sie in den angrenzenden Laleh-Park.

„Eine Wissenschaft, die uns von Amerikanern oder Russen abhängig macht, ist eine schändliche Wissenschaft, die uns vernichten wird“, steht über dem Portal der Geisteswissenschaftlichen Fakultät. Gezeichnet: Ajatollah Chomeinei. Doch der Spruch des Revolutionsführers verblaßt – ebenso wie dessen Lehre im Bewußtsein der fast 70 Millionen IranerInnen. Professoren reisen inzwischen beinahe selbstverständlich zur Weiterbildung in die als „Großer Satan“ gescholtenen USA, StudentInnen schauen über Satelliten-TV, wenn auch illegal, MTV.

1,2 Millionen IranerInnen studieren derzeit, etwa 400.000 von ihnen in der Hauptstadt Teheran. In der Endphase des Schahregimes Mitte der siebziger Jahre waren die Universitäten die Keimzellen der Revolution. Auf den Universitätsgeländen stritten Linke mit Islamisten über den besten Weg zum Sturz des selbsternannten Sonnenkönigs. Dessen Geheimdienst Savak schlug unbarmherzig zurück. Doch aufhalten konnte er die Entwicklung nicht.

Mehr als 20 Jahre später braut sich an den iranischen Universitäten ähnliches zusammen. Seit Monaten kommt es immer wieder zu Demonstrationen – erst in der Nähe des Campus, mittlerweile auf dem Universitätsgelände selbst. So hat sich am Samstag der Protest gegen die gewaltsame Erstürmung eines Studentenwohnheims, in dem sich Anhänger des reformorientierten Präsidenten Chatami verschanzt hatten, zu einer Massendemonstration ausgeweitet. An ihr sollen 25.000 Menschen teilgenommen haben. Gestern setzten Tausende Hochschüler ihren Protest fort.

Mit Stahlstangen gegen Andersdenkende

Regelmäßig liefern sich Anhänger des reformorientierten Präsidenten Chatami und Konservative einen Schlagabtausch. Weil auf dem Campus Demonstrationsverbot herrscht, gehen Polizei und Geheimdienst dazwischen. Prominentestes Opfer ist der Studentenführer Heschmatollah Tabarsadi. Seit Mitte Juni sitzt der Generalsekretär des Islamischen Studentenverbands im Gefängnis – wegen „Verbreitung von Propaganda gegen das islamische System“. Dabei war der inzwischen 39jährige einst glühender Anhänger Chomeinis. Doch 20 Jahre nach Gründung der Islamischen Republik hat er erkannt, daß ein göttliches Gesellschaftssystem ähnlich korrupt sein kann wie ein weltliches. In seiner Zeitschrift Howiat-e Chisch (Unsere Identität) stellte er offen das Prinzip des Welajat-e Faqih in Frage, die Statthalterschaft der Rechtsgelehrten. Bereits 1997 hatten religiöse Schlägertrupps die Redaktion von Tabarsadis damaliger Zeitung Pajam-e Danschju (Mitteilungen der Studenten) überfallen. Die Räume wurden verwüstet, Tabarsadi landete schwerverletzt auf der Intensivstation. Zuletzt forderte Tabarsadi eine Volksabstimmung über die Grundlagen der iranischen Theokratie. Seine Freilassung gehört zu den zentralen Forderungen der jetzt demonstrierenden Studenten.

Seit der überraschenden Wahl Mohammad Chatamis zum iranischen Präsidenten vor gut zwei Jahren hat sich die politische Lage an den Universitäten des Landes stark polarisiert. Konservative und Reformer stehen sich offen gegenüber. Der einst Chomeini-treue Studentenverband „Tahkim-e Wahdat“ (Festigung der Einheit) steht inzwischen zu 100 Prozent hinter dem Reformpräsidenten. Die Konservativen ihrerseits organisieren ihre Anhänger unter dem Titel „Bassidsch“. Seit vergangenem Jahr dürfen diese einstigen „Kriegsfreiwilligen“ an den Universitäten Büros unterhalten und bekommen staatliche Unterstützung. Immer wieder werden einzelne ihrer Mitglieder beobachtet, wie sie bei Demonstrationen mit Knüppeln und Stahlstangen auf Andersdenkende einschlagen. Das sei ganz im Sinne von Ali Chamenei, dem konservativen Religiösen Führer des Landes, meinen einige Beobachter. Doch offiziell streitet das konservative Lager jegliche Verbindung zu den Schlägertrupps ab. Das klingt ähnlich glaubwürdig wie die beständigen Beteuerungen, eigentlich seien Präsident und Religiöser Führer ein Herz und eine Seele.

Eine klare Absage an den religiösen Charakter Irans

Doch innerhalb der iranischen Gesellschaft verläuft die Konfliktlinie längst nicht mehr nur zwischen Konservativen und Reformern. Immer häufiger sieht man in Privatwohnungen iranische Fahnen, aus denen die Insignien der Islamischen Republik mit der Schere herausgetrennt sind. In der Mitte der grün-weiß-roten Fahne prangt ein Loch, eine klare Absage an den religiösen Charakter Irans. Und immer häufiger taucht im politischen Diskurs des Landes das Wort „national“ auf – die Alternative zur „Islamischen“ Republik. Als im vergangenen Winter das Dissidentenehepaar Dariusch Foruhar und Parvaneh Eskanderi beide erklärte Nationalisten – vermutlich von iranischen Geheimdienstlern ermordet wurde, gingen anschließend Tausende Menschen auf die Straße. Führende Kraft der jetzt demonstrierenden Studenten ist ein erst kürzlich gegründeter „Nationaler Verein der Studenten und Wissenschaftler“, von islamisch ist nicht mehr die Rede. Der Verband ist eine Abspaltung der „Nationalen Studentenvereinigung“, die bereits im Mai zu mehreren illegalen Demonstrationen aufgerufen hatte. Den Vorsitzenden der Organisation, Manuscher Mohammadi, und seinen Stellvertreter, Gholamresa Mohadscheri Nedschad, brachte das vorübergehend ins Gefängnis.

Einst war der Teheraner Campus die Wiege der Islamischen Revolution, dann sammelten sich hier die Anhänger des gemäßigt religiösen Präsidenten Chatami, inzwischen wird hier die Systemfrage gestellt: Islamische Republik oder einfach nur Republik? Sollte dieser Funken wie vor 20 Jahren beim Sturz des Schahs auf die Bevölkerung überspringen, dann wären die Tage der Theokratie gezählt. Thomas Dreger