„Hauptsache, Milosevic geht“

■ Nis hat genug vom jugoslawischen Präsidenten. Serbiens drittgrößte Stadt leidet unter den Folgen des Krieges. Die Opposition formiert sich

„Es gibt viele Gründe, aber nur eine Forderung: Rücktritt von Slobodan Miloševic“. Das Plakat mit dem aufmüpfigen Spruch hängt am Rathaus von Niš, Serbiens drittgrößter Stadt. Dort beschloß der Stadtrat am Freitag während einer tumultartigen Sitzung, der jugoslawische Präsident möge abtreten.

21 Stadträte von Miloševic' Sozialistischer Partei (SPS) hatten vor der Abstimmung türeknallend den Saal verlassen. Den Miloševic-Gegnern warfen sie vor, das Spiel der Nato zu betreiben. Neben dem Plakat am Rathauseingang hängt eine Liste mit 4.000 Namen von Menschen, die von der serbisch-orthodoxen Kirche mit Hilfsgütern versorgt werden. In den letzten vier Wochen sind in Niš Tausende Serben eingetroffen, die vor Racheakten der Kosovo-Albaner aus der südserbischen Provinz geflohen sind.

Die 220 Kilometer südöstlich von Belgrad gelegene Stadt Niš hat 285.000 Einwohner. Sie ist eine der 21 seit 1996 von der Opposition gegen Miloševic kontrollierten Städte. Vor einem der Stände der Opposition in der Innenstadt stehen alte und junge Menschen an. Sie wollen eine Petition für den Rücktritt des Präsidenten unterzeichnen. Nach Angaben der Demokratischen Partei (DS) von Zoran Djindjic, dem in Deutschland promovierten Philosophen und ehemaligen Belgrader Bürgermeister, sind innerhalb von zwei Tagen mehr als 12.000 Unterschriften gesammelt worden.

Die soziale Lage in Niš ist nach den Worten von Stadtdirektor Branislaw Jovanovic „katastrophal“. „Vor dem Krieg hatten wir 40.000 Arbeitslose und 30.000 Kurzarbeiter. Jetzt haben wir 10.000 Arbeitslose mehr“, klagt das Mitglied von Vuk Draškovc' oppositioneller Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO). Zur Zeit der Nato-Angriffe seien 26.000 Männer eingezogen worden. „Die sind jetzt ohne Ressourcen und verlangen Unterstützung, die wir ihnen nicht geben können.“ 34 Einwohner der Stadt sind im Bombenhagel gestorben. Nach Angaben der orthodoxen Kirche wurden außerdem 20 Soldaten aus Niš im Kosovo getötet. Offiziell wurde dies nicht bestätigt.

Vor den Nato-Bombardements war Niš eines der Hauptindustriezentren Jugoslawiens. Jetzt sind nur noch drei große Fabriken in Betrieb: das Fuhrunternehmen Niš-Ekspres, die Textilfirma Nitex und die Tabakfabrik DIN, die allerdings schwer beschädigt wurde. Der ohnehin schon geringe Monatslohn ist nach dem Krieg durchschnittlich um ein Drittel auf knapp 115 Mark gesunken.

Die Lage in Niš gleicht der in Leskovac, Uzice oder Prokuplje, wo das von der Djindjic-Partei geführte Oppositionsbündnis Allianz für den Wechsel in jüngster Zeit Protestdemonstrationen gegen Miloševic organisierte. In all diesen Städten hat sich Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen aufgestaut. Die Masseneinberufungen zur jugoslawischen Armee, die vielen Toten während des Krieges, die Zerstörung von Industrie und Infrastruktur, der steile Anstieg der Arbeitslosigkeit und die Zuwanderung der Flüchtlinge aus dem Kosovo haben ihre Spuren hinterlassen. „Unsere Regierung besteht aus Kriminellen. Sie hat Sozialhilfeempfänger aus uns gemacht“, empört sich eine 25jährige Arbeiterin aus Niš, die ihren Job verloren hat. „Egal, wer ihn ersetzen wird, Hauptsache, Miloševic geht.“

Der SPS-Sprecher in Niš, Veroljub Ivanovic, merkt an, daß seine Partei das Rathaus 1996 an die Opposition verlor, „weil sie taub war für die materiellen Forderungen der Bürger“. Doch jetzt sei alles anders. „Die Partei hat aus ihren Mißerfolgen gelernt.“

Katarina Subasic (AFP), Niš