Müde Mama mit Marotten

■ Im Privattheater von Gabi Rolle inszenierte Gabi Rolle ein Stück namens „Casa Matriz“ für eine bravouröse Gabi Rolle

Stabat Mater dolorosa ... So tropft's aus den Lautsprechern. Inmitten des Bühnenraums, der so sehr von allen möglichen Rosatönen beherrscht wird, daß es weh tut, steht Victoria. Sie dirigiert. Rossini. Mit weißem Taschentuch an Stelle des Taktstocks. Irgendwann tritt eine Frau ein, gehüllt in einen getigerten Synthetikumhang, und schaltet die Musik ab. Victoria setzt sich und sagt den ersten von unzähligen bedeutungsschwangeren Sätzen an diesem Abend: „Ich hatte einen Punkt erreicht, den ich später einmal mein Glück nennen werde.“ Ah ja.

„Casa Matriz“ heißt das Stück der argentinischen Dramatikerin Diana Raznovich. Und „Casa Matriz“ heißt auch die Agentur, von der die Frau stammt. Eine Art Escort-Service für enttäuschte oder gelangweilte Söhne und Töchter, die auch in fortgeschrittenem Alter von ihren Müttern nicht lassen können. Also bestellen sie sich einfach eine Ersatzmutter. Die Auswahl ist reichhaltig. Das ganze ist nicht billig; aber man gönnt sich ja sonst nichts. Victoria gönnt sich also zum Dreißigsten eine Instant-Mama. Warum sie das tut, weiß man nicht so genau. Könnte ja einfach vor die Tür gehen, die Gute, ein bißchen leben. Sie würde viele schräge Menschen treffen, oder auch schrecklich normale. Und könnte ihre echte Mutter 'ne gute Frau sein lassen.

Das Stück unterstellt, wirkliche und extreme Gefühle seien nur mit Müttern zu erreichen, tatsächlichen oder gespielten. Das ist natürlich Blödsinn. Und hier fällt das Stück auf sich selbst herein. Indem es Mutter-Tochter-Wahnsinn vorführt, gleichzeitig aber nie zeigt, warum es sich auf diese Konstellation beschränkt. Trotzdem ist die Idee nicht so schlecht. Vor allem, wenn die Akteurinnen aus den vertraglich abgesicherten Rollen fallen. „Mutter“ klagt dann über ihr Schicksal, vollkommen auswechselbar zu sein. Und dann die Besitzansprüche der KundInnen! Das alles verläuft parallel zur Prostitution im herkömmlichen Sinne. Irgendwann erscheint Muttersein als „das älteste Gewerbe“. Für Victoria indes sind Mütterphantasien wie ein Drogenrausch. Immer mehr will sie. Je extremer desto besser! Mama soll nicht perfekter sein als im richtigen Leben, im Gegenteil. „Ich will eine Mutter, bei der ich zweifeln muß, ob sie überhaupt kommt.“ Gesagt, getan. Die Frau von der Agentur hat 'ne Menge drauf. Genau wie Gabi Rolle, die sich bravourös durch die Typenparade spielt. Debora Geyzes Victoria indes wirkt etwas leblos. Dabei ist sie doch die „authentisch“ Süchtige in diesem Spiel.

„Casa Matriz“ pendelt achtzig Minuten zwischen Kabarett und Kammerspiel hin und her. Leider erschöpft sich die Grundsituation bereits nach zwei, drei Auftritten. Der Spannungsbogen kommt abhanden. Auch wenn noch zwei schöne Szenen folgen, wirkt die Inszenierung etwas müde. Vielleicht gerade weil Gabi Rolle, wie die Ankündigung sagt, „eine explosive Mischung, grotesk, humorvoll“ daraus machen wollte, „mit Poesie und komödiantischer Theatralik“. Das war zuviel. Und, bei aller Verfremdung: Warum werden hier Zigaretten geraucht, die niemand angezündet hat; warum wird Whisky getrunken, der nichtmal als Ersatzflüssigkeit in der Flasche glänzt? Das erinnert unangenehm an Schülertheater. Eine Menge dieser Kleinigkeiten können das mitunter durchaus vorhandene Spaßpotential von „Casa Matriz“ erfolgreich schmälern. Leider. So ist's denen, die auf den vielen freigebliebenen Stühlen hätten sitzen sollen kaum zu verdenken, daß sie bei der Premiere Weserdeich oder Gartenstuhl vorgezogen haben. Da gab's sicher auch etliche Mutter- und sonstwelche schräge Figuren zu bestaunen. Sogar ganz in echt.

Tim Schomacker

Noch bis zum 18. Juli, jeweils 20 Uhr im Theater Rolle, Buntentorsteinweg 413. Karten gibt es unter: Tel.: 70 19 01