„Niederungen der menschlichen Hemisphäre“

■ Seit vier Monaten wird eine leitende Mitarbeiterin eines Krankenhauses mit der Lieferung von Unterwäsche und Vibratoren und Hausbesuchen von Sadomasochisten belästigt. Täter unbekannt

Wer Entscheidungen in Personalangelegenheiten trifft, muß damit rechnen, nicht immer auf Gegenliebe zu stoßen. Doch was Brigitte Hentschel (Name geändert), eine leitende Mitarbeiterin eines Berliner Krankenhauses, seit Monaten durchmacht, geht weit über das normale Maß hinaus.

Die 34jährige, die tagtäglich mit der Führung von über einhundert Mitarbeitern zu tun hat – Einstellungen, Kündigungen, Disziplinarverfahren und anderes – erhält seit vier Monaten Postsendungen, die eine unbekannte Person in ihrem Namen bestellt: Abonnements von Boulevardblättern und seriösen Zeitungen, Mieder, Vibratoren, Eheringe mit ihrem Vornamen und dem Nachnamen ihres Freundes und dem Datum 9. 9. 99 und Lose der Süddeutschen Klassenlotterie. „Zuerst fällt einem nichts ein“, sagt sie, „und man denkt an einen Spaß.“ Doch als „die dubiosen Herrschaften“ vor wenigen Wochen in ihrem Namen Anzeigen im Tip aus dem Sado-Maso-Bereich beantworteten und die Antworten zum Teil bei ihrem Arbeitgeber landeten oder, noch schlimmer, interessierte Männer vor ihrer Wohnungstür standen, war es „nicht mehr ertragbar“. Als dann auch noch Postkarten mit der Bestätigung angeblicher Bewerbungen bei anderen Unternehmen im Krankenhaus auftauchen, fällt das für Brigitte Hentschel „in die Niederungen der menschlichen Hemisphäre“.

Die Anzeige, die sie im April gegen Unbekannt erstattet hat, hat bisher nichts gebracht. Die Chancen, daß die Polizeidirektion in Wedding in Sachen Urkundenfälschung fündig wird, sind äußerst gering. Zumal Brigitte Hentschel das Täterfeld nicht eingrenzen kann. „Ich bin kontinuiertlich aufgestiegen im Unternehmen, da gibt es immer welche, die auf der Strecke bleiben“, sagt sie. „Und dazu kommen noch Nichteinstellungen und Kündigungen.“

Um eine Unterschriftenfälschung nachzuweisen, braucht die Polizei jedoch vergleichende Schriftproben. Die Recherchen von Brigitte Hentschel haben ergeben, daß sowohl die schriftlichen Bestellungen bei Versandhäusern als auch die Briefe auf die Kontaktanzeigen eine „gleichartige Schrift“ erkennen lassen, nur weiß sie nicht, wer in Frage kommen könnte. Nach Angaben des Sprechers der Justizpressestelle, Matthias Rebentisch, gibt es etwa 50 bis 60 Staatsanwälte, die solche Verfahren immer mal wieder auf den Tisch bekommen. In der Regel handele es sich um berufliche oder persönliche Gründe. „Das erklärt sich schon daraus, daß kein normaler Mensch eine Veranlassung hat, jemanden einfach so zu ärgern.“

Brigitte Hentschel indes hofft auf Aufklärung und strafrechtliche Konsequenzen. Denn: „Das ist kein übler Scherz.“ Derweil übt sie sich in Zweckoptimismus und präsentiert den wohl einzigen Vorteil dieser unangenehmen Geschichte: „Nachdem ich so ziemlich alle Versandhäuser angeschrieben habe, um meine Kundennummer löschen zu lassen, bekomme ich viel weniger Werbung.“ B. Bollwahn de Paez Casanova