intershop
: Vietnamesen unter uns

■ Mango-Mandarinen-Fruchsaft

Merkwürdige Dinge ereignen sich in Berlin. Nach einer langen Pause breitet sich die vietnamesische Handelskette „Lebensmittel“ im Ostteil der Hauptstadt weiter aus. Auch bei uns im Haus an der Schönhauser Allee. Nachdem das „Kinderparadies“ wegen Konsumentenverachtung endgültig schließen mußte, hing ein großer Zettel am Schaufenster: „Hier eröffnet demnächst Laden Lebensmittel“. Schon am ersten Tag lernte ich die fünf Vietnamesen, die den Laden betrieben, kennen: vier Männer und eine Frau. Alles mutige Händler. Trotz völliger Abwesenheit von Sprachkenntnissen und großer Zählunfähigkeit oder gerade deswegen war der Laden immer voll. Denn jeder Kunde brauchte mindestens eine halbe Stunde, um seinen Kauf zu tätigen. „Ich wollte ja nur wissen, was diese Pilze kosten!“ jammert ein junger Mann mit Pilzkorb in der Hand zum fünfzehntenmal. Doch die beiden an der Kasse stehenden Vietnamesen, die Kassierin und ihr junger freundlicher Zahlen-Übersetzer, lassen sich von der Kundschaft nicht provozieren und tragen mit Ehre ihr Schweigen weiter. Der dritte Verkäufer ist vor dem Geschäft mit Gemüse beschäftigt. Dabei kommt er mit einem einzigen Satz gegenüber der Kundschaft aus: „Vielleicht lieber das?!“ Er trifft immer zu, weil die meisten Deutschen so verdammt wählerisch sind und sich nie zwischen zwei Äpfeln entscheiden können. Jedesmal wenn ich einkaufen gehe, freue ich mich auf sie. Die Vietnamesen bringen in die prosaische Pflichthandlung „Besorgungen erledigen“ ein spielerisches Element, man muß sich als Kunde immer was einfallen lassen und auf alles gefaßt sein. Das Warensortiment wird von zwei weiteren Vietnamesen komplettiert, die fünfmal am Tag schwere Kisten in den Laden tragen. Die meisten Lebensmittel sind den Betreibern unbekannt, denn sie selbst essen etwas völlig anderes. Man richt es jeden Tag im Hausflur, in ihrer Mittagspause. Diese exotischen Gerüche, die unser Haus erfüllen, sind schwer zu beschreiben. Ich stelle mir dabei einen mit Ananas fritierten Hund vor. Die meisten Produkte werden im Laden scheinbar wirr ausgelegt, doch schnell habe ich in diesem Durcheinander ein System entdeckt. Die Vietnamesen beurteilen sie nicht nach dem oft unklaren Inhalt, sondern nach ihrem Äußeren. So kommt alles, was Büchse ist, in das eine Regal, alles, was Flasche ist, in das andere und alles, was in Folie oder Papier eingewikkelt wird, in ein drittes Regal. Wenn sie die richtigen Preise nicht wissen, schätzen sie die Ware nach ihrer Größe ein. Auf der irischen Butter, die ich einmal zwischen Seife und Butterkeksen fand, stand ein Preis von 37 Pfennig, dafür waren die Butterkekse jedoch wegen ihrer Größe eindeutig überteuert.

Die Flasche mit fragwürdigem Mango-Mandarinen-Fruchtsaft- Diätgetränk mußte, nach ihrem Preis zu urteilen, mindestens zehn Jahre mit Jack Daniels in einem Faß gereift sein. Mittlerweile ist es mir zu einem Bedürfnis geworden, im Vietnamesen-Laden einzukaufen. Es ist auch sehr praktisch, weil dort zu jeder Tageszeit jemand da ist, wenn nicht vorne, dann im Hinterzimmer, wo es nach dem süßen Hund riecht.

Die Vietnamesen kennen mich auch bereits, und ich darf ausnahmsweise selbst auf den Kassenknopf drücken. Um so größer war meine Enttäuschung, als ich neulich den Laden geschlossen fand. Im Schaufenster hing ein Zettel: „Wegen Urlaub ist der Laden vom 30. 6. bis 1. 7. geschlossen“. „Das sind wirklich Arbeitstiere!“ rief die Verkäuferin aus dem Jeansladen nebenan entsetzt, „einen Tag Urlaub machen die!“ Schade eigentlich, daß wir keine gemeinsame Sprache haben, sonst könnten sie mir morgen ihre Urlaubsabenteuer erzählen, dachte ich und ging an diesem Tag woanders einkaufen.

Wladimir Kaminer