„Frankreich will meinen Sieg“

■  Der „unerwünschte“ Radprofi Richard Virenque über sein Leben bei der Tour als Dopingschurke und Held, die Erkenntnis, daß „überall gedopt wird“, und seinen Traum, jetzt erst recht zu gewinnen

taz: Wer knetet Ihnen eigentlich die Waden, Herr Virenque?

Richard Virenque: Marcellino heißt er – ein Spanier.

Kann der die Klappe halten?

Ich wünschte, die Journalisten würden sich irgendwann einmal wieder vor Augen führen, daß es bei dem, was wir tun, immer um sportliche Ereignisse geht. Einfach um Radsport, nicht um Fragen über Leben und Tod.

Tom Simpson fiel tot vom Rad, 1967 bei der Tour de France, vollgepumpt mit Aufputschmitteln. Ihr langjähriger Festina-Vertrauter Willy Voet hat ja den Mund nicht gehalten, als der Ermittlungsrichter wissen wollte, für wen er den Wagen voller Dopingmittel über den französischen Zoll karren wollte.

Sicher ist, daß Voet viel kaputtgemacht hat. Aber gut. Ich bin nicht hier, um darüber Rechenschaft abzulegen, was er hätte tun können oder nicht.

Sie waren nicht zur Tour eingeladen. Wie fühlt man sich denn als unerwünschte Person im eigenen Land?

Daß Tour-Direktor Jean-Marie Leblanc mich nicht dabeihaben wollte, lag ja nicht daran, daß er mich nicht leiden kann. Er tut seinen Job, und Fahrer, gegen die Ermittlungen laufen, passen eben nicht in sein Konzept. Schon gar nicht der Sündenbock Richard Virenque. Pech für Leblanc, daß er die Frist für die Ablehnung verpaßt hat und die UCI sich für mich entschieden hat.

Leblanc meint, es wäre für die Tour 1999 besser gewesen, wenn Sie nicht da wären.

Haben Sie die vielen Fans gesehen, die wegen mir an die Strecke kommen und mir zujubeln?

Nach einer Umfrage unter französischen Jugendlichen sind Sie derzeit neben Front-National-Politiker Jean-Marie Le Pen der unbeliebteste Franzose.

Davon merke ich nichts. Morgens, vor dem Start, kann ich kaum eine ruhige Minute finden, weil mir sehr viele Leute auf den Fersen sind wegen eines Autogramms. Die Franzosen wollen mich. An jeder Ecke stehen sie mit ihren Plakaten „Virenque in Gelb nach Paris“. Soviel Spektakel, soviel Aufmerksamkeit – das ermutigt mich unwahrscheinlich. Und ich hatte im Dezember nicht zu hoffen gewagt, den Leuten jemals wieder als Rennfahrer zu begegnen. Ich bin immer noch ihr Held, und sie wollen mich gewinnen sehen.

Erik Zabel hat schon gesagt, daß das ständige Gekreische ihrer treuen Fans die anderen Fahrer nervt. Sie haben nicht mehr viele Freunde im Peloton?

Das ist mir egal. Die sollen auf sich schauen und mich in Frieden lassen.

Vor sechs Monaten hat Sie niemand mehr haben wollen. Jetzt bekommen Sie von ihrem italienischen Rennstall Polti zwei Millionen Mark jährlich. Hätte schlimmer kommen können, oder?

Gianluigi Stanga hat mir eine Chance geben. Darüber bin glücklich. An Weihnachten habe ich in einer tiefen Krise gesteckt, es ging mir richtig schlecht. Jetzt habe ich Polti, und alles ist wieder ganz normal geworden.

Normal ist gut: Ihr ehemaliges Team Festina war in den bisher größten Dopingskandal der Radsportgeschichte verwickelt, und Sie steckten mittendrin!

Ich hatte eine schlechte Öffentlichkeit, mein Image war kaputt. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß ich ab einem bestimmten Punkt ganz alleine dastand, die ganze Last auf meinen Schultern, alle Vorwürfe gegen mich – das hat sehr, sehr weh getan. Alle haben auf mir herumgehackt.

Dann muß Marie-George Buffet für Sie das Schreckgespenst sein. Als Frankreichs Sportministerin dem Dopingkartell massiv zu Leibe rückte, kamen Sie erst in Beugehaft und dann zum Fernsehurlaub.

Schreckgespenst? Das ist witzig. Ach, sie ist nur eine Ministerin, die Doping bekämpfen wollte, und gleichzeitig hat sie eben den Radsport bekämpft. Der Kampf gegen Doping ist eine gute Sache – aber dann sollen sie Doping in der gesamten Sportwelt bekämpfen ...

.. . Sie lenken ab.

Es ist doch so: Heutzutage hat man ständig das Gefühl, daß im Radsport die großen Schweinereien ablaufen. Nun, überall im Sport wird gedopt, das ist meine Meinung.

Glauben Sie nicht, daß die Tour stark beschädigt ist?

Nein, das glaube ich nicht. Der Radsport im allgemeinen hat seinen schlechten Ruf weg, aber die Tour wird für alle Zeiten ein Mythos bleiben. Wie Mailand – San Remo, ein elegantes Rennen, mythisch, ich liebe es. Oder Paris –Roubaix, kein Rennen für mich – aber ich setze mich vor den Fernseher und denke: Fantastisch!

Ganz der alte, theatralische Richard Virenque.

Ich kann gar nicht der sein, der ich war, nach allem, was ich seit dem Sommer durchgemacht habe. Ich sehe viele Dinge anders und hinterfrage mehr. Und ich bin mental stärker geworden.

Das hört sich an, als hätten Sie Leblancs „Brief zur Ermutigung“ bekommen. Der Tour-Direktor hat allen Spitzenfahrern schriftlich geraten, sich an die neue Ethik-Charta zu halten. Haben Sie unterschrieben?

Ja, aber das betrifft mich nicht mehr und nicht weniger als alle anderen Polti-Fahrer. Wir haben uns vertraglich verpflichtet, nichts zu nehmen ...

... nicht zu dopen?

Wäre einer von uns irgendwann positiv, würde er ohne Rücksicht aus der Mannschaft geschmissen.

Konnten Sie sich denn bei dem ganzen Trubel überhaupt ordentlich auf diese Tour vorbereiten?

Konnte ich. In den Bergen wird meine große Stunde kommen.

Wo will der viermalige Kletterkönig der Tour angreifen?

Na ja, eine typische Kletter-Tour ist es diesmal ja leider nicht. Abraham Olano wird da wahrscheinlich mein größter Herausforder sein. Ich werde da sein.

Herr Virenque, stellen wir uns Ihren sehnsüchtigsten Traum vor: Keine Polizei, keine Sonderermittler, und Sie der erste Franzose seit Hinault 1985, der die Tour gewinnt. Das Blöde ist doch: Der Erfolg würde nichts wert sein.

Wieso? Wenn ich gewinne, wird der Sieg in einem sagenhaften Glanz erstrahlen. Ich werde gewinnen. Wenn nicht dieses Mal, dann im Jahr 2000. Eines Tages werde ich die Tour gewinnen.

Interview: Mirjam Fischer