„Die britische Regierung gibt der Gewalt nach“

■ Interview mit der Dubliner Historikerin und Krimischriftstellerin Ruth Dudley Edwards

taz: Die Oranier haben für diesen Monat 1.500 Paraden angemeldet. An ihrem Nationalfeiertag, dem 12. Juli, wollten sie in Belfast durch katholische Viertel marschieren. Aus welchem Grund?

Ruth Dudley Edwards: Es ist eine Art Trotz. Nach drei oder vier Jahrhunderten, in denen ihnen bewußt wurde, daß sie in diesem Land unerwünscht sind, und nach den vergangenen 30 Jahren des Terrorismus hat sich bei ihnen der Glaube breitgemacht, daß sie sich durchsetzen können, indem sie einfach sagen, wir geben nicht nach. Sie haben keine Ahnung von Public Relations. Sie handeln wie jemand, der für ein Verbrechen verhaftet wird, das er nicht begangen hat und sich vor Gericht nicht verteidigt, weil er unschuldig ist. Die Oranier leben in einer Welt, in der es um Fairneß und Gerechtigkeit geht. Sie verstehen eine Welt voller Lügen nicht.

Wie kommt es, daß Sie, eine Dubliner Katholikin, sich in Ihrem Buch so vehement für die Oranier einsetzen?

Ich komme von einem Stamm, dem katholischen Stamm, der sehr gut mit Worten umgehen kann. Ich fühlte mich fast verpflichtet, ihnen zu helfen, damit sie ihr Anliegen artikulieren können. Ich bin in vielen Punkten sehr kritisch ihnen gegenüber, aber ich versuche, ihr Anliegen in einen Zusammenhang zu stellen, den Außenstehende verstehen können.

Warum sind die Paraden durch katholische Viertel so wichtig für die Oranier?

Es ist für sie der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Wenn sie nicht marschieren dürfen, ist das für sie der letzte Beweis, daß sie von ihrer eigenen Regierung gehaßt und verachtet werden und sich Gewalt letztendlich auszahlt. Der kluge Oranier-Pfarrer William Bingham sagte voriges Jahr, daß wir mit bestimmten Merkmalen beider Bevölkerungsteile leben müssen: Die Katholiken müssen die Paraden akzeptieren und die Protestanten die pro-irischen Feste der gälischen Sportorganisationen aushalten. Kulturelle Apartheid ist keine Lösung.

Die Protestanten behaupten, sie seien die wirklichen Opfer.

Darum geht es beim Stammesdenken. Der katholische Stamm hat sich vor aller Welt als Opfer dargestellt. Der protestantische Stamm hat das bisher nicht getan. Doch sie merken, daß die Opferkultur sehr erfolgreich ist. Es wäre eine Katastrophe für dieses Land, wenn beide Seiten denken, sie seien die Opfer, denn eine Opferkultur erlaubt, daß du dir alles herausnehmen kannst.

Sehen Sie eine Lösung in Nordirland?

Die Leute denken immer zu schnell an Lösungen, die britische Regierung ist besessen davon, das ist Teil des Problems. Das funktioniert nicht bei einem Konflikt, der Jahrhunderte alt ist. Man muß die Zusammenarbeit in den Gemeinden, in den Bezirksräten fördern. Warum sollten die Unionisten dem britischen Premierminister Tony Blair vertrauen? Voriges Jahr sagte er, Sinn Féin werde nicht in die Regierung aufgenommen, wenn die IRA nicht vorher vollständig abrüste. Das hat er zurückgenommen. Seine Botschaft ist für die Protestanten deutlich: Die britische Regierung gibt immer der Gewalt nach.

Aber in den vergangenen zwölf Monaten ging die Gewalt doch hauptsächlich von protestantischen Organisationen aus?

Der Abschaum des Loyalismus hat sich die Sache der Oranier zu eigen gemacht, sie haben gemordet und furchtbare Gewalttaten verübt, aber der Grund dafür liegt auf der Gegenseite. Wenn es dort genügend Toleranz gegeben hätte, um die Oranier ihre Paraden abhalten zu lassen, dann hätte es keine Schwierigkeiten gegeben. Wenn man die Mehrheit, die den Staat immer verteidigt und loyal zur Krone und zur Bibel war, vor den Kopf stößt, dann bekommt man ernste Schwierigkeiten. Interview: Ralf Sotscheck ‚/B‘Ruth Dudley Edwards ist Autorin des Standardwerks „Faithful Tribe“ über den Oranier-Orden