„Sprengsatz für das Bündnis“

■ Der Wirtschaftswissenschaftler Claus Noé lehnt Kurt Becks Vorschlag nach zwei Lohn-Nullrunden ab: „Boulevardstück fürs Sommertheater“

taz: Was halten Sie von dem Vorschlag des rheinland-pfälzischen SPD-Ministerpräsidenten Kurt Beck?

Claus Noé: Offensichtlich reden Leute in guter Absicht von Zusammenhängen, die sie nicht verstanden haben, und produzieren damit ein Boulevardstück fürs Sommertheater. Ein Reallohnstopp ist in der Marktwirtschaft durch Lohntarife nicht erreichbar. Niemand kann vorher wissen, ob die Unternehmer bei nicht steigenden Löhnen die Preise senken oder ob sie die Produktivitätsgewinne einstecken. Das Verhalten der Unternehmer und der Konsumenten kann man vertraglich nicht festschreiben. Es hängt von den Märkten ab – deshalb heißt das System Markwirtschaft.

Welche Folgen hätte der Lohnstopp für die Wirtschaft?

Es kann bei einem Reallohnstopp zu massiven Wachstumsverlusten kommen. Die Folgen sind sinkende Nachfrage, sinkende Beschäftigung und damit sinkende Staatseinnahmen an Steuern und Sozialleistungen. Im übrigen hat auch der Sachverständigenrat niemals einem solchen Stopp das Wort geredet. Ökonomen wissen, daß Unternehmer immer Kosten und Absatz zugleich im Blick haben müssen. Deshalb wundere ich mich darüber, daß Gerd Andres, der parlamentarische Staatssekretär im Arbeitsministerium, den Einfall Becks für vernünftig hält.

Kurt Beck schlägt vor, die Einsparungen durch die Nullrunden sollten zur Sicherung der Sozialsysteme und der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft dienen. Ist das realistisch?

Beck hat kein Wort dazu gesagt, wie er kurzfristig mögliche Gewinne der Unternehmen in die Sozialkassen bringen will. Denkt er an eine Sondersteuer? Die würde die Wettbewerbsfähigkeit schwächen, statt sie zu stärken.

Ist das Bündnis für Arbeit – wie Kurt Beck vorschlägt – das richtige Gremium, um über Nullrunden zu verhandeln?

Ich halte Becks Einfall für einen ökonomischen und politischen Sprengsatz für das Bündnis für Arbeit. Dieses Gremium kann gesamtwirtschaftliche Orientierungen zur angestrebten Entwicklung der tatsächlichen Löhne geben. Es kann auch Vorschläge zur Senkung der Sozialversicherungsbeiträge machen. Aber es kann nicht die Höhe der Tariflöhne vorschreiben. Ziel muß es sein, ein angemessenes Wirtschaftswachstum zu erreichen und damit einen angemessenen Beschäftigungsstand. Dazu müssen Haushalts-, Steuer-, Geld- und Einkommenspolitik aufeinander abgestimmt werden.

Haben Sie einen besseren Vorschlag, wie Arbeitsplätze geschaffen und die Sozialsysteme gestärkt werden könnten?

Ich schlage eine produktivitätsorientierte Einkommenspolitik vor, bei der die Löhne leicht hinter dem Produktivitätszuwachs zurückbleiben. Das macht aber nur Sinn, wenn die Zinsen nicht zu hoch sind und der Staat nicht zur Unzeit und an den falschen Stellen Ausgaben kürzt. Interview: Tina Stadlmayer