Wohlklingende Wildereien bei Vollplayback

■ New Yorker Tausendsassa: DJ Spooky dreht heute abend an vielen Plattentellern im Icon-Club und treibt sein Hybrid aus HipHop, Drum 'n' Bass und Jazz voran

An kaum einem anderen Anschauungsobjekt lassen sich die Probleme und Möglichkeiten der Postmoderne besser ablesen als an Paul D. Miller aka DJ Spooky. Der New Yorker ist ein hemmungsloser Plünderer und Systemsprenger, dessen Arbeiten aber ganz ungewollt die Grenzen ihrer scheinbaren Grenzenlosigkeit mitkonnotieren.

So durfte bei seiner letzten Platte „Riddim Warfare“ die halbe New Yorker Freeform-Szene mitmachen, vom durchgeknallten HipHopper Kool Keith über Sonic Youths Thurston Moore bis hin zum Avantgarde-Trompeter Ben Neill, und doch klingt das Ergebnis überaus schlapp. Wo einfach alles gehen soll, geht doch auf einmal gar nichts mehr. DJ Spooky hat sich mit seinen überambitionierten Wildereien und seiner Selbstinszenierung als Tausendsassa nicht bloß zu einem Vordenker der sogenannten DJ-Culture emporgearbeitet, sondern auch zur Projektionsfläche des bösen Klatsches und übler Neidgeschichten.

Die gemeinste ist wohl die, daß er bei einem Auftritt den Plattenspieler-Wizard mimte und wild herumscratchte, bis sich herausstellte, daß das keine Live-Performance war, sondern bloß Vollplayback. Peinlich. Da schien er gar nicht mehr so weit weg von Milli Vanilli zu sein. Eine Geschichte – egal ob nun wirklich bloß Gossip oder der Wahrheit entsprechend – die Respekt kostet, und der ist in dem musikalischen Orbit, in dem DJ Spooky kreist, mehr als wichtiges Kapital. Doch Spooky ist beweglich, er ist auch noch in ganz anderen Gebieten zu Hause.

Wo sonst der Popdiskurs genüßlich über seinen Gegenstand gestülpt wird, liefert Spooky diesen gleich selbst zu seiner Musik dazu und geriert sich gerne als mit allen poptheoretischen Wassern gewaschener Schlaufuchs. Nicht nur Philosophen wie Deleuze/Guattari und Derrida liefern ihm die passende Diskursmasse, seine unkonventionellen Denkansätze vergleicht er auch gern mit denen des englischen Poptheoretikers Kodwo Eshun, der bekannt dafür ist, daß kein noch so abgefahrenes Theoriemodell vor ihm sicher ist.

Ganz nebenbei ist Paul D. Miller natürlich noch bildender Künstler, Autor und – seit neuestem – Model. Ach ja, für den Begriff „Illbient“ zeichnet er sich ebenfalls verantwortlich. Mit diesem Schlagwort versucht er, sein Hybrid aus HipHop, Jazz, Drum 'n' Bass, Elektronik und der halben Musikgeschichte als schrägen Ambient ohne Wohlklangfaktor zu verkaufen. Seine DJ-Sets zeichnen sich gelegentlich dadurch aus, die Idee von der klingenden Schmelztiegelatmosphäre einer Großstadt mit vier Plattenspielern umsetzen zu wollen. Mit doppelt soviel Turntables als üblich. Was ganz dem Grundkonzept von Spooky entspricht: je mehr, desto besser. Andreas Hartmann

DJ Spooky, heute im Icon, Cantian/Ecke Milastr., Prenzlauer Berg, ab 21.30 Uhr