Bundeswehr vor der Gleichberechtigung

Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat die Diskussion um den Dienst von Frauen an der Waffe wieder belebt. Viel spricht dafür, daß es diesmal nicht nur bei einem Thema fürs Sommerloch bleibt  ■   Aus Bonn Bettina Gaus

Lena Odenthal ist im Umgang mit Waffen geübt. Das muß sie auch sein – schließlich ist die „Tatort“-Hauptkommissarin unermüdlich Mördern auf der Spur. Aber bewaffnete Frauen gibt es nicht nur auf dem Bildschirm. Als Polizistinnen und Grenzschützerinnen gehören sie in Deutschland längst zum Alltag. Nicht aber als Soldatinnen: Nach wie vor verbietet Deutschland als einer von inzwischen nur noch drei EU-Staaten Frauen in den Streitkräften den Dienst an der Waffe.

Pünktlich wie Meldungen über das Ungeheuer von Loch Ness taucht dieses Thema alljährlich in der nachrichtenarmen Sommerpause in den Zeitungsspalten auf, um ebenso pünktlich im Herbst wieder in Vergessenheit zu geraten. Dieses Mal hat Verteidigungsminister Rudolf Scharping die Diskussion mit einer von der Bild-Zeitung veröffentlichten Äußerung belebt: Es gebe Pläne, Soldatinnen künftig auch im Wachdienst – „also auch mit der Waffe“ – einzusetzen. Die ersten Reaktionen liegen vor, weitere werden folgen. Alles wie gehabt? Abwarten.

Manches spricht dafür, daß sich die Rolle von Frauen in der Bundeswehr bald tatsächlich wandeln könnte. Die Klage der 22jährigen Elektronikerin Tanja Kreil vor dem Europäischen Gerichtshof ist in diesem Zusammenhang eher als Anlaß denn als Ursache für die möglichen Veränderungen zu sehen. Sie wollte sich unter Hinweis auf das Recht der freien Berufswahl und das Diskriminierungsverbot einen Arbeitsplatz im Bereich Instandsetzung Elektronik bei der Bundeswehr erstreiten.

Das Urteil soll erst im nächsten Jahr fallen. Aber schon die ersten Äußerungen im Zusammenhang mit dem Verfahren lassen zweierlei erkennen: Die Einstellung zum Dienst von Frauen mit der Waffe hat sich bei Politikern über Parteigrenzen hinweg geändert, und die künftigen beruflichen Möglichkeiten von Soldatinnen lassen sich nicht losgelöst von anderen strukturellen Veränderungen der Bundeswehr betrachten.

Die Zeiten, in denen die Frau allein als Spenderin und Bewahrerin des menschlichen Lebens galt und Schutz und Trutz dem Manne vorbehalten blieb, sind in der westlichen Welt schon lange vorbei. In Norwegen ist eine Frau zur Kommandantin eines U-Bootes ernannt worden. US-Pilotinnen fliegen Kampfjets, auch im Ernstfall. Und auch in Deutschland streiten die Juristen über die Auslegung des Grundgesetzes. „Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten“, heißt es in Artikel 12a, Absatz 4, in dem es um die mögliche Zwangsverpflichtung von Frauen zum Lazarett-Dienst im Verteidigungsfall geht. Über freiwillige Einsätze ist nach Ansicht vieler Experten damit nichts gesagt.

Die Zahl der Soldatinnen hat sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt. 4.250 weibliche Freiwillige haben sich bei der Bundeswehr verpflichtet, fast alle im Sanitätsdienst. Bislang dürfen sie nicht zum Wachdienst eingesetzt werden. Die Folge: Engpässe beim Sanitätskorps in diesem Bereich. Die einen müssen nun allzu oft Wache schieben, die anderen fühlen sich als Bundeswehrangehörige zweiter Klasse, wie sie mehrfach dem Verteidigungsausschuß des Bundestages geklagt haben. Eine dem guten Betriebsklima nicht gerade förderliche Entwicklung.

„Antiquiert“ nannte Theo Waigel, damals CSU-Vorsitzender, die Regelung bereits 1997. Schon Scharpings Vorgänger Volker Rühe hatte den Wachdienst für die Sanitätssoldatinnen öffnen wollen, scheiterte damals aber am Widerstand von Verfassungsjuristen im Innenministerium. Die FDP tritt schon lange dafür ein, daß auch in Deutschland ein gleichberechtigter Zugang von Frauen in die Bundeswehr möglich wird. Gerhard Schröder hatte sich noch als Ministerpräsident von Niedersachsen sogar für den Einsatz von Frauen in Kampfverbänden ausgesprochen – allerdings nur „auf der Basis strikter Freiwilligkeit“. Und auch Bündnis 90/Die Grünen wollen die Gleichberechtigung von Frauen in den Streitkräften – allerdings erst dann, wenn die Bundeswehr von einer Wehrpflichtarmee zu einer Freiwilligenarmee ungewandelt worden ist.

In der Wehrpflicht ist der Hauptgrund dafür zu sehen, daß sich in der Frage von Wachdiensten von Frauen bislang nichts bewegt hat. Wenn Frauen freiwillig Dienst an der Waffe tun können, Männer aber dazu gezwungen werden, drohen neuerliche Prozesse mit Blick auf das Diskriminierungsverbot – diesmal seitens Wehrpflichtiger. Der Umbau der Bundeswehr in eine Armee mit einem großen Anteil hochspezialisierter Krisenreaktionskräfte und die knappen Mittel lassen es inzwischen aber nach Ansicht vieler Fachleute nur noch als eine Frage der Zeit erscheinen, wann die – teure – Wehrpflicht abgeschafft wird. Damit dürfte eine Hürde für den gleichberechtigten Zugang von Frauen zu den Streitkräften aus dem Weg geräumt sein.

Nicht alle halten diese Entwicklung für richtig. „Die Bundeswehr eignet sich nicht für emanzipatorische Diskussionen“, meinte vor ein paar Jahren die damalige Wehrbeauftragte Claire Marienfeld. Als ob es in erster Linie um diese ginge. Die Bundeswehr ist ein attraktiver und zuverlässiger Arbeitgeber – je spezialisierter die Berufsbilder, um so mehr. Marienfeld hat seinerzeit noch anderes gesagt. Das Beispiel der USA zeige, daß der Einsatz von Frauen die Armee teurer mache, weil zum Beispiel zusätzliches Personal für Schwangerschaftsvertretungen eingestellt werden müßte. Dieses Argument klingt nun allerdings seltsam vertraut. Auch aus anderen Branchen.