Krokodilstränen im Pintglas

■ Mit Sentimentalität verarbeiten The Beautiful South das verlorengegange Lad-Bewußtsein der Arbeiterklassekerls

Irgendwas ist schief gegangen mit dem Lad, jener typisch britischen Form des Arbeiterklassekerls. Klar, der idealtypische Lad hatte sich schon immer sehr für jene Mischung aus Fußball, Saufen und Bildern von nackten Frauen interessiert, die ihm in den Neunzigern Magazine wie Loaded in Reinkultur darbieten. Aber dazu schien früher zumindest noch eine klassenbewußte politische Einstellung, ein scharfsinniger Humor, gelegentliche Sentimentalität und ein tiefverwurzeltes Stilbewußtsein zu gehören. Früher bewunderte der Lad George Best, der mit langen Haaren, Eleganz, Eskapaden zwischen Playboy- und Dandytum und genialen Pässen verzückte. Heute bewundert er Paul Gascoigne: Armeehaarschnitt, tumb, Eskapaden zwischen ehelicher Gewalt und Alkoholismus, aber leider auch geniale Pässe, gelegentlich zumindest.

Wenn dieses, zugegeben etwas klischeeträchtige Bild stimmt, dann waren die Housemartins die letzte Lad-Band der alten Schule: Sozialismus, Soul, Fußballanspielungen und eine Vorliebe für den Pub an der Ecke fanden ein letztes Mal zusammen zu einer mitreißenden Mischung. Paul Heaton schrieb und sang damals die gleichermaßen klugen wie bewegenden Texte. Ironie des Schicksals, daß der größte Hit der Housemartins ihr untypischster war: eine schmachtende Acapella-Version des Isley Brother-Songs „Caravan Of Love“.

Sozialismus, Soul, (seltenere) Fußballanspielungen und eine Vorliebe für den Pub an der Ecke prägen auch The Beautiful South, Paul Heatons heutige Band. Doch der alte Schwung ist hin, dafür schwingt in den meisten Songs eine Sentimentalität mit, die Heaton zwar mit immer noch treffend gewählten Worten in den Texten zu überdecken sucht, die aber aus jeder Pore der Musik trieft. Sogar romantische Liebeslieder passieren dem Songschreiber heute, der mit der ersten Beautiful South-Single „Song For Whoever“ die verkauften Gefühle von Liebesliedern verdammte.

Aber aus dieser Sentimentalität mag auch eine Sehnsucht nach dem spätestens zur Regierungszeit von Maggie Thatcher verlorengegangenen alten Lad-Bewußtsein sprechen. Daß davon in Großbritannien noch immer viele hören wollen, beweisen die anhaltend hohen Verkaufszahlen dort. Fairerweise sei angemerkt, daß Beautiful South auf ihrem letzten Album Quench ihre muffige Weinerlichkeit etwas weggedreht haben.

Mitverantwort-lich dafür zeichnet als „Rhythm Consultor“ ausgerechnet derjenige, der viele der neuen Lads mit seinen Big Beats zum Tanzen bringt: Fatboy Slim alias Norman Cook, einst der Bassist bei den Housemartins. Da schließen sich Kreise, aber nicht vollständig. Und das mag manche britische Träne ins Pintglas tropfen lassen. Paul Heaton schreibt darüber ein Lied. mit Barbara Morgenstern: Fr, 16. Juli, 18.30 Uhr, Stadtpark

Felix Bayer