Geklonte Nobelpreisträgerin

Extreme Verdichtung: Mariola Brillowskas apokalyptische Bilderflut Morgenröte im Metropolis  ■ Von Ulrike Bals

Um die Zukunft der Schöpfung ist es schlecht bestellt. Im 71. Jahrhundert wird Sex nur noch mit Maschinen praktiziert. Männer sind eine aussterbende Spezies. Die wenigen überlebenden Exemplare dienen als reine Samenspender. Wer sich weigert, wird kastriert. Gewalt ist überhaupt en vogue. Sogar die elektronischen Überwachungs-Insekten zitieren sadistische Parolen von Marquis de Sade.

Eine düstere Vision haben die beiden Hamburger Künstler Mariola Brillowska und Felix Kubin zu einer komplexen Anti-Utopie verwoben. Als Vorgeschmack der Endzeit-Stimmung in der Welt unserer bedauernswerten Nachfahren gestalten die beiden am 17. Juli einen futristischen Abend im Metropolis. Eingebettet in eine Musik- und Sprachperformance zeigen sie die Premiere des Science-Fiction-Trickfilms Morgenröte: eine fünfminütige apokalyptische Bilderflut in schnellen, harten Schnitten. Die extreme Verdichtung und Überlagerung sinnlicher Eindrücke soll die Wahrnehmung des Zuschauers überfordern.

Ein Trick im Trickfilm, der das Unbewußte herausfordert. Die eigene Phantasie des Betrachters verschmilzt mit der Handlung des Films – surreal wie in einem Traum. Dadurch entsteht eine Vielschichtigkeit, die selbst bei mehrfachem Anschauen immer wieder Neues entdecken läßt. Doch darüber hinaus verstehen die beiden Künstler ihr ehrgeiziges Projekt auch als Statement gegen die zunehmende Verflachung des Trickfilm-Genres. Sarkastisch rechnen sie ab mit der westlichen Konsumwelt: mit der zwischenmenschlichen Kälte, der Verherrlichung von Gewalt und der Verklärung des Rationalen. Der Mensch, meinen sie, hat seit dem aufrechten Gang nicht viel dazugelernt. Und seine mühsam entwickelten moralischen Werte haben ihn doch nicht gehindert, Kriege zu führen und die Erde zu verwüsten. Alles zielt auf die endgültige Katastrophe. Die Überlebenden vegetieren auf dem synthetischen Planetoiden Nietzsche in einem faschistischen Matriachat. An der Spitze des totalitären Regimes steht die x-fach geklonte Nobelpreisträgerin Madame Curie. Die Wissenschaften beherrschen die Natur, humanistische Werte des 20. Jahrhunderts haben ausgedient. Gefühle und körperliche Berührungen sind aus Angst vor Krankheiten tabuisiert.

Zum Glück bleiben den heutigen Erdenbewohnern ja noch ein paar Jahrtausende Zeit, um ein paar Korrekturen am kollektiven Schicksal vorzunehmen. Sonst hängt alles vom Ausgang der aussichtslosen Aktion einiger versprengter Terroristen im 71. Jahrhundert ab. Durch die Entführung der Präsidentin wollen sie das totalitäre Regime stürzen und das Diktat der Sterilität aufheben. Ihrer Fährte folgen mit tödlichem Instikt die skrupellosen Curie-Anhängerinnen Linda und Lorna. Doch unerwartet trifft sie am Ziel eine alte Erkenntnis: Nichts gleicht der Liebe.

Morgenröte ist eine kurze Episode aus der bizarren Welt der beiden Comic-Heldinnen „Linda und Lorna“. Geprägt von Mariola Brillowskas unverwechselbarem Zeichenstil zieht sich ein irrisierendes Flimmern durch den ganzen Film, das alle Gegenstände zu pulsierendem Leben erweckt. Gemeinsam mit Felix Kubins experimenteller Vertonung ist eine fruchtbare Symbiose entstanden, die bald als Hörspiel und abendfüllender Film fortgesetzt werden soll. Bis dahin performen die Künstler selbst die Sci-Fi-Abenteuer vor der Kino-Leinwand: mit Spoken Words und futuristischem Elektro-Pop.

Außerdem im Programm sind noch drei frühere Werke von Mariola Brillowska. „Flash Fary“ ist eine Auskopplung aus dem gemeinsam mit Charles Kissing entstandenen Konzept-Film Katharina und Witt – Fiction and Reality von 1995, bei dem eine durchgedrehte Tonbandmaschine die Kunstwerke einer Ausstellung mit obszönen Untertiteln kommentiert. Der falsche Spieler aus dem Jahr 1997 persifliert dagegen die Liebe eines homosexuellen Fußballers zu seinem Ball. Und böse Rache an ihren Eltern nehmen schließlich die gequälten Kinder in dem Film Contras von 1997.

Ob Film oder Slam-Poem: Provokation ist Programm bei der Art-Entertainerin Brillowska. Mit Kontrasten rebelliert sie gegen die zeitgenössischen Strömungen und reibt sich genüßlich an den wenigen verbliebenen Tabus. Eindeutige Lösungen bieten ihre rätselhaften Arbeiten nie. In erster Linie wecken sie Emotionen: Ekel, Angst, Befremdung. Daß dahinter eine äußerst moralische Absicht lauert, eine Art Katharsis des Schreckens, bleibt dem Betrachter absichtlich verborgen. „Ich mache Filme für Erwachsene“, betont Mariola Brillowska. Wie man sich darin spiegelt, bleibt jedem selbst überlassen – unzensiert.

Film und Performance: Sa, 17. Juli, 21.15 Uhr. Kurzfilmprogramm „House Of Wonder“: Di, 20. Juli, 21.15 Uhr; Mi, 21.15 Uhr, Metropolis