Büchsenbier und Sesamstraße

■ Mit bogenvernichtender Härte bespielte die Band „Apocalyptica“ den Schlachthof

Es sah genauso aus wie vor zehn Jahren, wenn im Schlachthof irgendwelche Speedmetal-Bands spielten. Ein Haufen Langhaariger mit Büchsenbier und T-Shirts, auf die schnörkelreich Bandnamen gedruckt waren, säumte die Straße zwischen Bahn- und Schlachthof und füllte später die Kesselhalle. Als am Dienstag Apocalyptica in der Stadt waren, hatte sich die Szene offenbar nach all den Jahren wieder mal geschlossen aufgerafft. Die Kesselhalle war bis oben hin besetzt.

Daß auf der Bühne kein einziger Gitarrenverstärker stand, hätte es allerdings damals nicht gegeben. Bei der Vorgruppe „Das Holz“ gab es zumindest noch ein Schlagzeug. Aber ansonsten von klassischen Instrumenten des Schwermetalls keine Spur. Dafür eben klassische Instrumente. Von zwei Geigen und dem erwähnten Schlagzeug (ein wenig zu) burschikos nach vorn getrieben, ließen „Das Holz“ zum ersten Mal an diesem Abend erahnen, was aus so einer alten Leier rsp. Geige rauszuholen ist.

Barocke Akkordzerlegungen, mittelalterliche Tänze, Staccati, wie sie sonst eher von elektrischen Gitarren zu hören sind, eine Cover-Version des Damned-Klassikers „Eloise“ und ein Medley aus Pippi Langstrumpf und der Sesamstraße brachten das Publikum in Wallung und die Band für Zugaben auf die Bühne.

Dann kamen Apocalyptica. Die Idee, sich nur mit vier Celli ausgestattet an Stücken schwereren Schwermetalls zu schaffen zu machen, ist auf den ersten Blick ganz witzig und in ihrer Umsetzung auf Schallplatte zumindest drollig anzuhören. Und schließlich basiert Heavy Metal ja auch auf klassischen Tonleitern, liegt an Vivaldi und Mozart geschulten MusikantInnen also ohnehin schon viel näher als beispielsweise ein Blues. Aber erst die Bühnenumsetzung machte deutlich, daß die vier klassisch trainierten Musikstudenten mit Metal-Faible schon eine reelle Macke haben.

Zwei Mattenträger, die schwer auf ihren Instrumenten hobelnd die typischen Kopfbewegungen vollführten, und zwei Kurzhaarige, die, nicht minder druckvoll schubbernd, schon eher nach handelsüblichen Cellisten aussahen, eröffneten den Abend mit „For Whom The Bell Tolls“ von Metallica, von denen sie später noch eine ganze Reihe mehr spielten.

Sogar an einem Stück von Slayer versuchten sich die Finnen mit Erfolg, und auch Eigenkompositionen kredenzten sie neben Songs von Faith No More und Sepultura. Mit jedem Stück besserte sich die schon gute Laune im Publikum, auch wenn vor allem die Hits anderer Bands begeisterten. Da konnten schließlich alle mitsingen. Und außerdem hat es schon einen besonderen Reiz, wenn dieser ganz spezielle Gitarreneinsatz oder jene ganz bestimmte Passage in diesem oder jenem Song, von der der Fan genau weiß, daß sie gleich kommt, von vier Celli mit bogenvernichtender, roßhaarfleddernder Härte vorgetragen, erstaunlicherweise den gleichen durchschlagenden Erfolg wie im Original erzielen kann.

Dabei erzeugte das Quartett mit minimaler technischer Unterstützung nicht nur einen eminent druckvollen Sound, sondern machte auch eine unterhaltsame Show dazu, mit erheiternden Ansagen in schlechtem Englisch und hochgerissenen Celli. Und das konnte nachweislich sogar Skeptiker erheitern. Andreas Schnell