Alles auf der Schippe

Von wegen Jesus Christus Superstar: Die Residents verteidigten im Sendesaal des SFB die Alternativkultur  ■   Von Susanne Messmer

Noch bevor der Vorhang aufgeht, kreischt das Publikum hysterisch, schließlich sind die Residents selten genug auf Tour. Mit etwas gutem Willen schafft man es auch immer noch, sich zu begruseln: Wer zur Hölle sind die Residents? Außer daß sie zurückgezogen in San Francisco leben, sich schon in den sechziger Jahren auf der Highschool kennengelernt und seitdem mehr als dreißig Alben veröffentlicht haben, ist nichts über sie bekannt. Schon bei ihrer ersten Single-Veröffentlichung vor 26 Jahren hatten sie beschlossen, so Manager Homer Flynn in einem Interview, „daß persönliche Details für die Arbeit der Gruppe und ihre Förderung irrelevant sind“.

Auf der Bühne stehen vier traurige Gestalten mit übergroßen Augenköpfen und Zylindern. Was würde passieren, risse man ihnen die Stoffhelme vom Kopf? Wäre am Ende gar nichts darunter? Oder vielleicht ein übermütig gewordener Joe Cocker? Der wiederauferstandene John Lennon? Oder vielleicht was Monströses, zum Beispiel Tentakeln? Es macht puff, Nebelschwaden, und der Sänger erscheint wie in einer billigen Magier-Revue als Schädelmann auf der Bühne. Er stapft stoffelig umher und fuchtelt wild mit seinen weiß behandschuhten Händen.

Er erzählt uns, was uns erwarten wird: die Bibel, einmal umgekrempelt. Musiktheater, „Jesus Christ Superstar“ andersherum. Nein, die Bibel sei kein Buch des Guten, sondern voller Vergewaltigungs-, Inzest-, Kindsopfer- und Mordgeschichten. Der Gott des Alten Testaments: alles andere als gütig.

Oh nein, rachsüchtig, gemein und brutal sei er dargestellt, lamentiert der Schädelmann, und seine unheimlich drohende Männlichkeit überschlägt sich wie bei Stimmbrüchigen. Er leitet die erste Geschichte ein: „Sie erzählt uns von einer jungen Frau, die total cool und lässig vor den feuchten Glotzaugen einiger Sabbersäcke abtanzt.“ – so steht es übersetzt im edel aufgemachten Programmheftchen.

Als es losgeht, wackeln die stilisierten, kitschig angestrahlten Pappmachépyramiden im Hintergrund. Eine Sängerin, Mischform aus Hexe, Colombina aus der Commedia dell'arte und mit billigem Flitterkram angetanes Fabelwesen, flattert heran. Sie kreischt: „There were guys! Watching my body!“ Dies soll also Salome darstellen, dicht gefolgt von Schädelmann, nun angetan als Jeremia, und danach Jael, die einen zusammengerollten Orientteppich hält, aus dem Füße ragen: die Leiche eines Feindes. So geht es ewig weiter: Schädelmann mimt in dahinwabernden Rezitativen den Erzähler, dazwischen singen uns geschundene Bibelfiguren ihr Leid.

Mag sein, daß die Residents mit ihren vielgelobten CD-ROMs zu den Erfindern von Multimedia, Komponisten von Ballettmusik, kammermusikalischen Kabinettstückchen und atonalem Jazz zählen. An diesem Abend aber zeigen sie sich vor allem als Verteidiger der Alternativkultur. Hier wird Unfertigkeit zum Dauerzustand erhoben: Garagensound, musikalischer Dilettantismus im Musical. Rocky Horror Picture Show und Addams Family geteilt durch Punk und Psychedelic. Einfach alles gerät auf die Schippe – sogar die Unsicherheit über die eigene Ernsthaftigkeit. Bombast, Pomp und Pathos erbeben einfach zu heftig: Die sehr amerikanische Vorstellung des Aufstiegs der Pop- in die Hochkultur – Oper goes Comedy.

Und schließlich karikieren sich die Residents auch selbst: den naiven Gestus der ketzerischen Gegenkultur, den Ernst der Konzeptionalisten, wie sie die Scheinheiligkeit des Feierabend-Christentums anprangern.