Die Trauer des Bettüberwurfs

■ Von der Armut der Dinge: David Adam mit Fotoarbeiten im ehemaligen Kosmetiksalon „Babette“ an der Karl-Marx-Allee

Um zur Karl-Marx-Allee zu gelangen, muß man durch mehrere Fußgängerunterführungen. Das mag ein Grund dafür sein, daß man diese Gegend immer als ein wenig abgetrennt von der Stadt erinnert. Dazu kommt die in sich geschlossene Architektur: Die Straße wurde als Ganzes geplant und gebaut und steht heute als „erstes Berliner Beispiel eines idealtypischen ,Sozialistischen Wohnkomplexes' in industrieller Hochbau-Tafelbauweise“ unter Denkmalschutz. Zu dem Komplex gehören fünf Glaspavillons. Hier waren Geschäfte untergebracht, die die damaligen Vorstellungen von Luxus widerspiegeln: zum Beispiel „Kunst im Heim“, das Restaurant „Moskau“ und der Kosmetiksalon „Babette“.

Der Kosmetiksalon überlebte die Wende und wurde erst im letzten Jahr geschlossen. Jetzt zeigt David Adam hier Fotoarbeiten. Im gläsernen ehemaligen Verkaufsraum sind Fotografien von Einrichtungsgegenständen an den Scheiben befestigt. Über eine Galerie kann man im zweiten Stock die fünf ehemaligen Behandlungsräume erreichen. In ihnen hängt jeweils ein kleiner Leuchtkasten mit einem Foto eines verlassenen Raumes.

Die Ausstellung ist nicht nur räumlich zweigeteilt. Die Fotografien unten haben zunächst wenig direkten Bezug zu dem Pavillon. Sie zeigen Einrichtungsgegenstände: Bettüberwürfe, Kissen, auch Autorücksitze. Immer sehr ästhetisch. Durch den Bildaufbau erinnern einige der Arbeiten an niederländische Stilleben oder Renaissancemalerei.

Dieser Blickwinkel objektiviert. Die Fotos offenbaren auf den ersten Blick wenig über den Fotografen. Um so mehr jedoch über die Dinge, die sie zeigen. Vielleicht antworten sie sogar auf die Kinderfrage: Was tun die Dinge, wenn ich nicht da bin und sie keiner sieht? In den Fotos sind sie – im Gegensatz zu dem, was man sich als Kind gewünscht hat – nicht sie selbst. Man sieht die Gegenstände plötzlich bewußt in ihrer von Menschen gemachten Armut. Durch die Art ihres Arrangements sind sie in eine längst vergangene Zeit verlegt. Und ihr Besitzer ist vermutlich tot.

Die Fotografien oben hingegen zeigen ihre Beziehung zum Ausstellungsort sofort auf. Es sind Bilder verlassener Arbeitsräume. Jedes der Fotos verweist auch auf den Raum, in dem man steht. Allein das Wort „Behandlungsraum“ weckt ungute Assoziationen. Es sind kleine Zellen mit Waschbekken, ihre Fenster erlauben keinen Durchblick. Im letzten Foto sieht man sich selbst: Es zeigt den Raum, in dem man sich gerade befindet. Es hat etwas Trauriges, Beengendes.

Man möchte den Ort sofort verlassen. Verstärkt wird dieses Gefühl noch durch Vorhänge vor den Türen, die Adam aufgehängt hat. Oft halten sie die Besucher für Relikte des Kosmetiksalons. Nach diesem Eindruck sieht man die Fotos unten anders. Vor allem die Aufnahmen der Autorücksitze erinnern an viele Stunden, die man darauf wartete, irgendwo anzukommen, wo man selbst gar nicht hinwollte. Aber auch die anderen Dinge: Vermutlich warten sie gar nicht: Sie haben nur die Einsamkeit und das Warten ihrer Besitzer – auf eine Ankunft, auf einen neuen Tag oder eine Überraschung im Leben – aufgespeichert.

In einem nicht mehr benutzten Fahrkartenschalter des U-Bahnhofs Schillingstraße hat Adam eine Fotografie von den Dreckspuren, die ein stühlekippelnder Beamter im Ministerium für Staatssicherheit an der Wand hinterlassen hat, aufgehängt. Auch der scheint einen großen Teil seiner Zeit mit Warten zugebracht zu haben. Der Schreibtisch steht einfach nur da. Was er macht, wenn keiner das Foto sieht, bleibt unbekannt.

Andrea Würdemann

David Adam: Karl-Marx-Allee 36, Mitte, bis 31. 7., Do.–So. 15–20 Uhr