Die Taschen sind bis zum Bersten vollgepackt

■ Die erste Familie aus dem Kosovo verläßt Berlin. Eltern hoffen auf baldige Arbeit. Zurückbleibende Flüchtlinge bleiben skeptisch. Aufenthaltsbefugnisse werden für sechs Wochen verlängert

Nersat Krasniqi hatte recht. Vor fünf Wochen, als der 39jährige im Fernsehen die KFOR-Truppen in Priština einmaschieren sah, war er sicher, daß er und seine Familie „ganz schnell“ zurückkehren würden. Die anderen Flüchtlinge im Wohnheim Gehrenseestraße lachten ihn damals wegen seines Optimismus aus, waren äußerst skeptisch. Jetzt sind Krasniqi und seine Frau Naxhije, die Kinder Florentina und Faton samt Großeltern die allerersten der 320 Kontigent-Flüchtlinge, die in ihre Heimat zurückkehren.

Heute morgen um drei Uhr sollten sie mit einem Taxi nach Dresden fahren und von dort mit rund 100 Flüchtlingen aus Sachsen nach Skopje in Makedonien fliegen. Per Bus sollte es weiter nach Priština gehen.

Nach Aussage von Christoph Abele, Sprecher der Sozialverwaltung, haben zwar weitere Familien Interesse an einer schnellen Rückreise geäußert, jedoch noch „nicht so viele, daß ein ganzes Flugzeug von Schönefeld starten“ könne. Laut Isabelle Kalbitzer, Sprecherin der Innenverwaltung, sei die Ausreise jedoch unproblematisch, denn sie könnten mit einem Transitvisum, dem sogenannten „laisser-passer“ Papier, ausreisen, auch wenn sie keinen Paß hätten.

In den Zimmern der Krasniqis im Wohnheim herrscht einen Tag vor der Abreise fast ausgelassene Stimmung. Immer wieder stehen BewohnerInnen in der Tür, um sich zu verabschieden. Abschiedsfotos werden geschossen. Zehn riesige Taschen und ein Koffer stapeln sich in dem kleinen Zimmer. Sie sind bis zum Bersten gefüllt, vor allen Dingen mit Kleidung, aber auch mit Decken, Duschzeug, Geschirr. Ein Stromgenerator und ein Fernseher in Pappe verpackt daneben.

„Wir wissen nicht so genau, was uns erwartet“, sagte Naxhije Krasniqi, lacht dabei aber ganz entspannt. Das Haus in Priština stehe noch, es sei aber geplündert worden, haben sie per Telefon von Nachbarn erfahren. Die 38jährige Naxhije, so läßt sie von ihrer Tochter übersetzen, habe aber „überhaupt keine Angst“ vor der Rückkehr. Oma Kada will als erstes ihren Hund streicheln, erzählt sie vergnügt. Der hätte während der Bombardierungen bei Nachbarn gelebt.

Die beiden Eltern hoffen, schnell wieder eine Arbeit zu finden. Naxhije Krasniqi war Angestellte bei der Post, hatte aber neun Jahre nicht mehr gearbeitet – im Amt waren nur Serben geduldet. Nersat war Taxifahrer, arbeitete Anfang des Jahres für die OSZE-Beobachter in Priština. „Die KFOR-Truppen brauchen sicherlich so einen wie mich“, sagt er zuversichtlich.

Nur Florentina ist nicht ganz so euphorisch. Der Trubel macht ihr zu schaffen, sie konnte in den vergangenen Tagen kaum mehr schlafen. Die 15jährige hofft, daß sie bald wieder etwas mit Freundinnen unternehmen kann. Ob die jedoch auch schon wieder in Priština sind, oder ob sie überhaupt noch leben, weiß sie nicht. Und der Abschied aus Berlin fällt ihr auch nicht leicht. Zwei Monate ging sie mit anderen Flüchtlingskindern zur Schule. Florentina übersetzte als Dolmetscherin für Lehrer und Kinder. Schon vor ihrer Flucht vor drei Monaten in Priština verstand sie eine ganze Menge Deutsch – sie lernte die Sprache, weil sie regelmäßig RTL-Soap-Operas im Kabelfernsehen schaute. Jetzt ist ihr Deutsch sehr flüssig. Gemeinsam mit ihrer Cousine Gezime hat sie ständig geübt. „Wir haben jeden Tag lange Spaziergänge gemacht und dabei Deutsch gelernt.“ Florentina ist traurig, daß sie Gezime verlassen muß. Denn ihre Familie, sie sind zu sechst, will frühestens in einem Monat zurück. „Wir wissen noch nicht genau, was uns in Priština erwartet“, sagt auch Gezimes Vater Izmet. Die Aufenthaltsbefugnisse der restlichen 314 Flüchtlinge werden in den nächsten Tagen verlängert – für sechs Wochen. Julia Naumann