„Arrgh, Natur!“

Wie Umweltminister Jürgen Trittin im Spreewald vergeblich versuchte, mal mit etwas anderem als dem Thema Atom ins Gespräch zu kommen  ■ Aus Brandenburg
Matthias Urbach

Eigentlich fängt Trittins Reise in die brandenburgische Natur ganz gut an. Als der Bundesgrenzschutzhubschrauber auf dem Sportplatz am Gymnasium in Lübbenau einschwebt, stehen die Schüler schon bereit. Und der Minister nimmt sich tatsächlich die Zeit, 27mal sein Autogramm einzutragen. Mit schwarzer Tinte. „Für Benjamin“, „Für Stefan“. Die Kinder sind glücklich. Trittin auch – denn die Kinder fragen nicht nach dem Atomausstieg.

Denn der Umweltminister will nicht immer nur der Atomminister sein. Anders als Franz Josef Strauß, der sich stolz mit diesem Titel gebrüstet hatte, als er 1956 die Kernkraft auf den Weg brachte. Und Trittin hat nun haufenweise Widerstände zu überwinden bei dem Versuch, diese Technik wieder abzuschaffen. Ein Job, bei dem er derzeit kaum Punkte sammeln kann. Kein Wunder, daß sich der 44jährige Grüne zu gern mal positiv ins Gespräch bringen würde.

Mit Naturschutz zum Beispiel. Gleich zwei Tage hat sich der Minister Zeit genommen, um zwei Naturschutz-Großprojekte in Brandenburg zu besichtigen: den Spreewald und die Uckermärkischen Seen, die sein Ministerium mit vielen Millionen Mark unterstützt. Die Einladung lag schon länger vor, und nach der schlechten Presse der vergangenen Wochen ist der Termin hastig organisiert worden.

Doch kaum hat der Minister seinen Fuß in das Lübbenauer Naturschutzhaus gesetzt, bestürmt ein dynamischer Sat.1-Reporter Trittins zierliche Büroleiterin Sabine Veth auch schon: „Wir brauchen drei Minuten mit dem Minister.“ Zu welchem Thema, will sie wissen. „Na ja, auch zum Atom“, lügt der Sat.1-Mann wacker und befragt den Minister anschließend eine dreiviertel Stunde. Ausschließlich zu Spaltstoffen. Veth bringt das auf die Palme: „Das geht schon seit neun Monaten so.“

Der Minister läßt das ruhig über sich ergehen. „Zur Rotbauchunke fragt mich halt keiner“, sagt er schlicht und tut seinen Job. Doch seine Laune wird sichtlich besser, als es auf einem Touristenkahn in den Spreewald geht, durch lauschige enge Wasserwege zwischen Urwald und satten Wiesen. Trittin lacht und erzählt und läßt keine Gelegenheit für einen Scherz aus. Als ein vorbeischippernder Tourist wegen der vielen Kameras auf dem Ministerschiffchen fragt: „Sind sie Japaner?“ Da ruft Trittin mit verstellter Stimme „ja, ja“ zurück. Selbst als ein Rentner in einem Gasthof am Ufer dem Minister zuruft, „hoffentlich geht das Boot unter“, lacht der Minister. Und einer Frau, die sichtbar unsicher vom Ufer einen Schnappschuß vom Minister macht, ruft er ein aufmunterndes „einen schönen Hund haben Sie da“ zu. Nichts scheint ihm zu entgehen, und immer hat er einen norddeutsch trokkenen Flachs auf den Lippen. Wer Jürgen Trittin so sieht, kann nicht verstehen, warum er im Land so viele Feinde hat.

Und doch ist es, wenig später wieder auf dem Trockenen, auch ein Flachs des Ministers, der seine Distanz deutlich macht zu dem Rest der Delegation, Brandenburgs Umweltminister Eberhard Henne und einer Reihe von Natürschützern aus den Ministerien und von vor Ort. Als Trittin mit Henne und drei Staatsangestellten einen Hochsitz erklimmt, wackelt der leicht: „Ich kannte mal einen persönlich“, erzählt da der Minister, „der hat Hochsitze mit der Motorsäge angesägt.“ Und keiner von den arrivierten Herren auf dem Hochsitz findet das ehrlich lustig.

Zweieinhalb Stunden dauert die Exkursion, und man fragt sich schon, woher ein Minister so viel Zeit hat, nur um eine Feuchtwiese zu sehen. Aber die Kameraleute kriegen schöne Bilder von Trittin in der Natur. Aber den erhofften Kick fürs Image bringt es nicht: Am Abend werden die Aufnahmen im ARD-Nachtmagazin doch nur einen Bericht über den Atomstreit untermalen.

Doch der Minister ist auch aus politischen Gründen gekommen. Er will, wie er sagt, „eine Posse“ beenden. Denn der Spreewald soll ein Naturschutzgroßvorhaben werden, das der Bund mit 24 Millionen Mark sponsern will. Und die sind nötig: Früher wurde aus riesigen Braunkohlegruben ständig Grundwasser in die Spree gepumpt – das machte bis zu 60 Prozent des Spreewasser aus. Inzwischen sind viele Gruben dicht, das Gebiet droht auszutrocknen. Deshalb wollen Naturschützer die Gewässer so umbauen, daß weniger Wasser aus dem Spreewald abfließt. Doch nach sieben Jahren Planung sind die Anträge für die Bundesmittel noch nicht fertig.

Bei Plinsenkuchen und Kaffee berät Trittin im Spreewaldhof mit dem Landesumweltminister, dem Bundesamt für Naturschutz und den örtlichen Projekträgern. Die beklagen sich, daß das Bundesamt immer wieder draufsattele und alte Kompromisse wieder in Frage stelle, die sie ihrerseits mühsam mit den Jägern und Forstwirten vor Ort aushandeln mußten. Dessen Vertreter verteidigt sich schwach, die Kompromisse seien halt nicht protokolliert und der frühere Sachbearbeiter inzwischen irgendwo in Afrika tätig. Bis Trittin eingreift: „Wir können das ja nach vorne diskutieren.“ Und dann vermittelt er einen Kompromiß. Bis Ende September sollen die Fragen geklärt sein, und das Bundesamt solle sich offen zeigen, und wenn es trotzdem nicht gelinge, werde er sich persönlich kümmern. Der Minister kann auch versöhnlich.

„Bislang hat man ja nur Negatives gehört“, sagt Isabell Hiekel von der Naturschutzverwaltung des Spreewaldes. „Aber wir haben hier einen sehr positiven Eindruck.“ Und auch die Konferenz mit der örtlichen Presse läuft gut: Sie ist tatsächlich am Spreewald interessiert und stellt mehr Fragen zu Gurken als zum Atom.

Gegen Abend geht es weiter per Hubschrauber in die Uckermark:

Für die dortige Seenlandschaft zahlt der Bund bereits 23 Millionen Mark Naturschutzhilfe, um Grundstücke aufzukaufen und die Ländereien zu pflegen. Und für Dienstag wartet auf den Minister wieder dasselbe Programm: Gespräche und Exkusionen zu Kranichen und Bibern. Aber beim Grillen erzählt Trittin erst einmal stolz, wie er schon Anfang der Achtziger für die Natur kämpfte und die Gelbbauchunken in Hannoversch Münden gegen eine Industrieansiedlung verteidigte. Doch selbst hier kann er der Tagespolitik nicht entgehen. Ulrich Wickert stört sich nicht an Natur und Lagerfeuer im Hintergrund seines Fernsehbildes. Er hat da noch ein paar Fragen zum Atom. Am nächsten Morgen ist der Minister wieder ganz hellwach und läßt sich über die Uckermark informieren. Als der Bus des ORB-Filmteams bei der vormittäglichen Exkusion in die Schorfheide im märkischen Sand stekkenbleibt, schiebt er sogar mit an. Aber ob das hilft? Immerhin sind die Naturschützer in der Uckermark froh, daß sie ein offenes Ohr des Ministers finden, denn auch sie plagt ein Problem – und zwar mit dem Bundesverkehrsministerium. „Während wir hier die Havel renaturieren, befestigen die die Wasserstraße anderswo“, schimpft der Leiter des Naturschutzverwaltung, Rüdiger Mauersberger. „Beides mit Steuergeldern.“ Trittin findet auch, daß man die Ufer naturschonender befestigen könne und verspricht, mit dem „zuständigen Kollegen“ zu reden.

Im persönlichen Umgang kann der Minister besser überzeugen als über die Medien. Und wenn ihm am Ende trotzdem nicht alle Begleiter die Begeisterung für die Natur abnehmen, dann vielleicht weil seine Scherze so durch und durch städtisch geprägt sind. Als man ihm einen Biberdamm zeigt und erklärt, daß das Tier ein Gespür für Wetterwechsel hat, sagt Trittin nur fröhlich: „Oh, ein kleiner Kachelmann.“ Vielleicht ist es aber auch der schicke dunkle Anzug, in dem er durch die Landschaft stapft, statt sich in eine der obligatorischen beigen Joppen der Naturschützer zu werfen, wie sie auch sein brandenburgischer Amtskollege trägt. Und gerade als dieser einem Journalisten erklärt, daß er persönlich ja einen „guten Eindruck“ von Trittin gewonnen habe, kommt der vorbeigelaufen, hält einen soeben blutig geratschten Zeigefinger hoch und ruft: „Arrgh, Natur!“ Ein Scherz sicher, aber wahrscheinlich fühlt sich der Minister beim Anblick eines AKWs tatsächlich wohler.