Zweckbündnis für den Wechsel

■  Serbiens Opposition beschwört die Einigkeit aller politischen Bewegungen und mobilisiert die Unzufriedenen aus allen Städten und Dörfern für einen Marsch auf Belgrad

„Bereitet eure Schuhe für den Marsch auf Belgrad vor“, rief Zoran Djindjic, Vorsitzender der „Demokratischen Partei“ im Namen des „Bundes für Veränderungen“ auf der Massenkundgebung am Dienstag abend in Jagodina. Die Menschen klatschten begeistert, als Djindjic erklärte, es würde der „größte Marsch in der Geschichte“ werden. In zehn bis fünfzehn Tagen würden sich die Unzufriedenen aus allen Städten und Dörfern Serbiens auf den Weg in die Residenzstadt des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloševic machen. Mit einem einzigen Ziel: das Regime zu stürzen.

Mehr als zwei Jahre hat die Opposition Serbiens gebraucht, um die Bürger des international isolierten, wirtschaftlich und sozial ruinierten Landes wachzurütteln und zum Massenprotest gegen das Regime zu bewegen. Täglich organisieren der „Bund für Veränderungen“ und der „Bund demokratischer Parteien“ inzwischen Demonstrationen gegen Miloševic. Auch Vuk Draskovic, Vorsitzender der „Serbischen Erneuerungsbewegung“, Ex-Vizepremier, Ex-Oppositionsführer und auch fast zu Tode geprügelter Häftling des Miloševic-Regimes, will am Samstag in Kragujevac in Zentralserbien seine Anhänger gegen das Regime auf die Beine bringen. Er hofft, mehr als als 100.000 Menschen zu mobilisieren.

Nur wenn alle Oppositionskräfte zusammenhalten, werden sie freilich eine reale Chance haben, den ersehnten Machtwechsel in Serbien zustandezubringen. Kritische Stimmen warnen jedoch, es seien weitgehend dieselben Oppositionsführer wie Draskovic und Djindjic, die vereinigt im Wahlbündnis „Zajedno“ (Gemeinsam) schon Ende 1996 zu Massendemonstrationen gegen die Fälschung der Kommunalwahlen aufgerufen hätten. Hunderttausende Menschen hatten damals monatelang auf den Straßen Serbiens gefroren, bis das serbische Regime nachgab. Vergebens, wie sich herausstellte, denn als „Zajedno“ die Macht auf lokaler Ebene übernahm, fiel das Bündnis auseinander und überließ ihre Anhänger lähmender Hoffnungslosigkeit. Nur „gegen das Regime zu sein“ war keine ausreichende Grundlage, um die grundverschiedenen Parteien zusammenzuhalten.

Diesmal soll es anders kommen. Zuerst wollen alle demokratischen, konservativen, monarchistischen, liberalen, christdemokratischen, bürgerlichen, Arbeiter- und Bauernparteien zweckvereinigt das Regime Miloševic „ein für allemal“ loswerden und danach freie Wahlen unter der Obhut und nach den Prinzipien der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), ausschreiben. Serbien steht vor der entscheidenden Schlacht.

Das durch den Unmut des Volkes zunächst überraschte Regime zeigt wieder Zähne. Miloševic' Sozialisten (SPS) riefen die Bürger Serbiens zur „Einigkeit der Nation“ auf, die zum „schnellen Wiederaufbau“ des Landes führen soll. Die Opposition beschuldigten sie des „Hochverrats“. Sie würde nur die „Befehle ihrer ausländischen Mentoren“ ausführen. Der US-Geheimdienst CIA wolle Miloševic stürzen, das Volk stehe jedoch zu ihm. Was die Nato mit ihrer Aggression nicht habe erreichen können, nämlich den Staat zu destabilisieren, solle jetzt die „fünfte Kolonne mit Lügen und Manipulationen“ zu Ende führen.

Doch auch viele ehemalige Soldaten sind unter den Demonstranten. Und viele Flüchtlinge aus dem Kosovo. Sie erzählen die Wahrheit, und Tausende Menschen lauschen verbittert. Die Unzufriedenheit des Volkes ist in Serbien überall zu spüren. Dabei sind es zunächst rein politische Proteste, initiiert von der Opposition. Soziale Unruhen werden aber in einigen Wochen dazukommen. Unabhängige Gewerkschaften kündigten einen heißen Herbst an.

Die Soldaten protestieren immer wieder, sie wollen ihren Sold für die Kriegszeit haben. Neulich hat eine Raketendivision des 450. Regiments die Brücke über den Fluß Ibar bei der Stadt Kraljevo blockiert. Sie werfen Miloševic vor, an Generäle mit Brillanten und Rubinen besetzte Orden für den „Sieg über die Nato“ verteilt zu haben, während die Soldaten hungerten.

Die Unzufriedenheit droht zu einem allgemeinen, unkontrollierten Aufstand zu eskalieren, und das Regime ist eigentlich macht- und ratlos. Mehr als ein Versuch, mit Gewalt die Massenproteste zu ersticken, bleibt Miloševic wahrscheinlich nicht übrig, obwohl das nach dem Krieg emotional aufgeputschte Serbien dabei wie ein Pulverfaß hochgehen könnte.

Vielleicht haben die Demonstrationen der Opposition mitten im Hochsommer zu früh begonnen, es wird schwer sein, mit derselben Energie bis zum Herbst durchzuhalten. Aber niemand zweifelt daran, daß im Herbst das Schicksal Miloševic', seines Regimes und damit der ganzen Region entschieden wird.

Andrej Ivanji