Süßer Vogel Jugend

■  Doug Limans Film „Go“ knüpft an die melancholischen Slacker-Filme der neunziger Jahre an: Generation X zwischen Verunsicherung und spaßorientiertem Eskapismus

Was treibt eigentlich die amerikanische Jugend? Gibt es sie noch, oder hat sie sich 1994 mit Kurt Cobain kollektiv in den Kopf geschossen? Das könnte nämlich die leblosen Zombieexistenzen erklären, die seitdem durch Beverly Hills wanken und via Film und Fernsehen das weltweite Wissen um amerikanische Adoleszenzbewältigung immer weiter gen null drücken. So wenig welthaltig erscheint das Bild vor Horror kreischender Teenager und populärer High-School-Göttinnen auf Shoppingtour, daß man sich wehmütig jener melancholischen Slacker-Filme der frühen Neunziger erinnert, die, etwa mit „Clerks – Die Ladenhüter“, noch eine Ahnung davon vermittelten, daß dort drüben Menschen leben. Doch Hoffnung naht mit „Go“, der nun erfolgreich an diese ehrenwerte Tradition anschließt, auch wenn Regisseur Doug Liman, der bereits mit „Swingers“ respektabel debütiert hat, hier keinesfalls eine waghalsige Independent-Produktion abgeliefert hat.

Auch Drogenkauf ist Vertrauenssache

Die erste von drei ineinander verwobenen, aber nacheinander erzählten Episoden sollte zu Beginn der Produktion als Kurzfilm den noch kürzeren Titel „X“ tragen, der nun als versteckter Subtext das desillusionierte Ethos der gleichnamigen Generation mit dem ebenso schwer faßbaren Mythos der Raverdroge „X-tasy“ verbindet, um die es zunächst geht. Hinter der Kasse eines Supermarkts in Los Angeles verrichtet Ronna (Sarah Polley), die offensichtlich noch nicht ins körperlose Nirvana ewiger Kaufkraft eingegangen ist, ihren klassischen McJob. Aus purer Gutwilligkeit, und weil die nächste Miete fällig ist, hat sie für den flatterhaften Simon (Desmond Askew) auch noch die Nachtschicht übernommen. Als das verzweifelte Schauspielerpärchen Adam und Zack nach Simon oder vielmehr den versprochenen Pillen fragt, wittert sie ihre Chance und sucht Simons bitterbösen Dealer Todd (Timothy Olyphant) auf, um selbst ein bißchen am großen Geschäft teilzuhaben.

In einer düsteren Szenerie droht sich der Film nun in gängigen Underground-Klischees zu verfangen: Todd fordert sie auf, das fehlende Kleingeld mit sexuellen Diensten aufzurunden. Doch ab dem Moment, da sich Ronna wider alle Erwartung verweigert, weiß man, daß „Go“ in die richtige Richtung geht. Die Droge ist kein abgründiges Mysterium und auch kein Lebensinhalt. Ihr Wert ist, im Gegensatz zu Ronnas Persönlichkeit, verhandelbar. So ist „Go“ auch kein Ecstasy-Spektakel, sondern ein Film über Freundschaft, Leichtsinn und Vertrauen. Viel Vertrauen. Ronna überläßt Todd bis auf weiteres ihre kleine Freundin Claire (Katie Holmes), um sie später auszulösen.

Doch der obskure Deal mit Adam und Zack wird zum Flop – auch Drogenkauf ist Vertrauenssache –, und die Muntermacher landen in der Toilette. Ein finanzielles Desaster, doch die hellwache Ronna gibt nicht auf. Nun muß eben Aspirin herhalten, um den sagenumwobenen Christmas-Rave zu versorgen. Das geht übel aus.

Kein loses Ende bleibt hier unverknüpft

Wie übel, erfahren wir nicht, denn nun verfolgen wir Simon und seine Kumpels auf ihrem Spaßtrip nach Las Vegas. Für den Fortgang der Handlung, die gibt es nämlich trotz der zersplitterten Dramaturgie, ist diese zweite Episode vollkommen überflüssig. Es macht also nichts, daß sich Liman volle fünfzehn Minuten Zeit gibt für eine hirnlose, aber unter Big-Beat-Getöse perfekt in Szene gesetzte Verfolgungsjagd, die Simon mit seinem unbedachten Betragen im Bordell provoziert. Denn Simons Geschichte, eine hedonistische Slapstickorgie, dient nur als Antithese zu Ronnas Existenzkampf.

Der wird mit der Geschichte von Adam und Zack wieder aufgenommen, die wegen Drogenbesitzes in die Mühlen des Systems geraten sind. Ein schmieriger Bulle namens Burke (William Fichtner) benutzt sie als Köder gegen Ronna. Wie man nun schon weiß, versagen sie dabei kläglich. Zur Strafe werden sie zu einem bizarren Weihnachtsessen verdonnert, das der entsetzliche Burke zu einer wahnhaften Ode an seinen perfekten Haushalt nutzt. Und nach ihrer Flucht erfährt man plötzlich, was wirklich mit Ronna und Claire geschehen ist.

Was sich mit der zeitlichen Zerlegung der Handlung zunächst mutig angelassen hat, erweist sich als hemmungslos konstruierter Krimiplot, in dem kein loses Ende unverknüpt bleibt. „Go“ hat nicht die Absicht, verstörendes Fragment zu bleiben. Die Konvention erhält die Spannung. Parallel dazu geht der in der ersten, zentralen Episode eingelöste Anspruch, eine Jugendkultur zwischen Verunsicherung und Eskapismus überzeugend ins Bild zu setzen, in den beiden weiteren restlos verloren. Daß „Go“ nicht restlos Opfer seiner Spaßorientierung wird, verdankt Liman seinen überaus jungen und ausdrucksstarken Darstellern, die ihren Figuren zu echter Persönlichkeit verhelfen. Das wiederum ist für einen Mainstreamfilm geradezu gewagt.

Philipp Bühler

„Go“. Regie und Kamera: Doug Liman. Buch: John August. Mit Sarah Polley, Katie Holmes, Scott Wolf u.a. USA 1999, 100 Min.