Tunis verurteilt Menschenrechtlerin

Drei Monate vor den Wahlen geht Tunesiens Regierung hart gegen Oppositionelle vor. Nun wurde die Anwältin Radhia Nasraoui zu sechs Monaten Haft verurteilt   ■  Von Reiner Wandler

Madrid (taz) – Tunesiens Präsident Ben Ali duldet keinen Widerspruch. Das mußte am Mittwoch abend die Anwältin Radhia Nasraoui erfahren. Die 45jährige enge Mitarbeiterin von amnesty international wurde vom Gericht der Hauptstadt Tunis zu sechs Monaten Haft verurteilt. Anschließend soll sie fünf Jahre lang einer staatlichen Überwachung unterworfen werden.

Nasraoui wird vorgeworfen, ihr Büro 20 Mitgliedern der Kommunistischen Arbeiterpartei Tunesiens POCT – im offiziellen Jargon „eine Organisation, die zum Haß aufruft“ – zur Verfügung gestellt zu haben. Die mutmaßlichen Mitglieder der verbotenen POCT erhielten im selben Prozeß Haftstrafen zwischen 15 Monaten und vier Jahren. Ihr Delikt: „Aufruf zum Ungehorsam und die Verbreitung falscher Nachrichten“.

Drei der Verurteilten befinden sich seit März 1998 auf der Flucht. Unter ihnen der Ehemann von Radhia Nasraoui, Hamma Hammani. Bei den übrigen 17 Inhaftierten handelt es sich um Studenten, die ihre Mitgliedschaft in der POCT bestreiten. Sie hätten lediglich ihre „legitimen Interessen“ in der offiziellen Studentengewerkschaft UGET verteidigt, heißt es in einem Kommuniqué, in dem sie angeben, nach ihrer Verhaftung gefoltert worden zu sein.

Anwältin Nasraoui war in der Vergangenheit immer wieder bedroht worden. Selbst vor ihren beiden sechzehn und zehn Jahre alten Töchtern machte der tunesische Staatssicherheitsdienst keinen Halt. Die ältere Tochter wurde auf offener Straße Opfer eines Übergriffes, die jüngere versuchten Polizisten im vergangenen Jahr zu entführen. Klares Ziel dieser Willküraktionen: Radhia Nasraoui einzuschüchtern, um sie von ihrer Arbeit abzubringen.

Die 45jährige, die dem Vorstand der tunesischen Anwaltskammer angehört, verteidigt in allen wichtigen Menschenrechtsverfahren in Tunesien. Neben Mitgliedern der radikalen Linken kümmert sie sich auch um eine Gruppe von Frauen, denen der Ausweis vorenthalten wird, um so zu verhindern, daß sie ihre Ehemänner – Mitglieder der verbotenen islamistischen An-Nahda – im Exil besuchen.

Das Verfahren gegen Nasraoui und die Studenten ist nur die Spitze des Eisberges. Drei Monate vor den Präsidentschaftswahlen, bei denen – so ein vom Parlament gefaßter Beschluß – „ausnahmsweise“ neben dem Präsidenten weitere Kandidaten zugelassen werden, versucht Ben Ali, jegliche oppositionelle Äußerungen bereits im Keim zu ersticken.

Vor wenigen Tagen wurde der ehemalige Vorsitzende der verbotenen Menschenrechtsorganisation „Nationaler Rat für die Freiheit in Tunesien“, Moncef Marzouki, für zwei Tage verschleppt und verhört. Dem Korrespondenten der französischen Tageszeitung La Croix, Tawfic Ben Brik, erging es nicht besser. Mitte Mai wurde er von Sicherheitsbeamten zusammengeschlagen. Als er sich beschwerte, ließ ihn das Regime prompt für mehrere Tage verschwinden.