Männer vor Flußlandschaften

Gleichmäßiges Motorengeräusch und das Vorbeiziehen der Auen prägen das Leben der Binnenschiffer. Die Auftragslage auf Havel und Spree ist nicht gerade gut   ■  Von Annette Rollmann

Rudolf Kraatz hält das eiserne Steuerrad locker in den Händen. Es ist blank gewetzt. Viele Drehungen und Wendungen hat das Schubschiff schon gefahren. Steuermann Kraatz hat es stets bugsiert. Das Boot ist so viele Jahre alt, wie er im Dienst ist. Seit 1965 arbeitet Kraatz bei der Deutschen Binnenrederei, einem früheren DDR-Unternehmen. „Das ist mein Boot. Auch wenn es mir nicht gehört“, sagt der Mann, dessen Haut über die Jahre vom Wetter gegerbt ist. Nach hinten wirft er einen Blick aufs Deck. Das glänzt hell und weiß in der Sonne. Kein Körnchen Staub liegt dort, obwohl Kraatz auch an diesem Tag, wie an vielen anderen Tagen, Kohle im Hafen von Königs Wusterhausen verschleppt. Der Hafen hinter der südöstlichen Stadtgrenze Berlins ist der größte Brandenburgs. Jährlich werden ca. 2 Millionen Tonnen umgeschlagen, vor allem Kohle aus der Lausitz, die dort per Zug hingerollt wird. Schubschiffe wie das von Kraatz transportieren den Brennstoff dann auf Dahme und Spree gen Berlin.

„Mir ist das ganz recht hier. Wir kommen jeden Abend nach Hause“, sagt er, dessen Vater und Großvater schon über die deutschen Flüsse gefahren sind. Damals bekam er den kleinen Traum vom großen Kapitän eingehaucht, den er noch heute als Steuermann in Königs Wusterhausen lebt.

Kraatz' Arbeitgeber, die Deutsche Binnenrederei mit Hauptsitz im Berliner Osthafen, hat vor der Wende 3.000 Menschen beschäftigt und fuhr mit einer Flotte von 330 Schiffen. Heute arbeiten dort nur noch 550 Menschen, die Flotte ist auf 120 Schiffe geschrumpft. „Nach der Wende ging es uns schlecht, weil die Märkte zusammengebrochen sind“, sagt Kraatz. Außerdem seien die 200 Kilometer Schiffahrtswege in Berlin und Brandenburg weitgehend aus dem vorigen Jahrhundert. „Das muß ausgebaut werden“, fordert die Reederei. Die Konjunktur habe sich wieder belebt und die Auftragslage stabilisiert. Aber die Konkurrenz durch die schnellen Lkws, die überall hinfahren können ohne um- und abzuladen, sei nach wie vor groß.

Auch Kraatz erzählt mit Blick auf seine beiden Matrosen an Bord, daß viele junge Männer von der Binnenschifffahrt weggegangen seien. Heiko und Michael jedoch, 25 und 27 Jahre alt, sind geblieben. „Bisher haben wir noch jeden Monat Lohn bekommen. Aber Aufstiegschancen gibt es kaum noch. Die Flotte wird bestimmt nicht wesentlich vergrößert“, sagen sie, während sie in ihrer Kajüte unter Deck eine Zigarettenpause machen. Für die beiden Matrosen ist das Leben an Bord in Ordnung. „Man kommt zurecht“, sagt Michael lakonisch und meint damit nicht nur seinen Lohn von rund 2.500 Mark brutto monatlich, sondern auch den Teamgeist, der an Bord herrschen muß.

Auf dem Schubschiff von Thomas Krajewski ist dieser Teamgeist ebenfalls oberstes Prinzip. Die Mannschaft, die an diesem Tag die Braunkohle, die Kraatz und seine Leute verschifft haben, von Königs Wusterhausen zum Heizkraftwerk Klingenberg in Berlin bringt, ist stets 20 Tage hintereinander unterwegs. Dann hat sie 10 Tage frei. „Allerdings versuche ich, zwischendurch noch mal nach Hause zu kommen“, erzählt der 35jährige Krajewski, der in Berlin wohnt. Hinten auf dem Schubschiff steht sein Rennrad. Damit radelt er zu Frau und Kind.

An Bord spielt sich das Leben vor allem auf dem Deck ab. Nur zwischendurch machen es sich die Männer in der Kajüte im Resopalstil mit den braunen Stühlen und der Plaste-Tischsdecke, die mit Blumen bedruckt ist, bequem, wo einen das Tuckern der Mororen einlullt. Zum Kaffee gibt es an diesem Nachmittag Schokoladenkuchen. Lange mag jedoch niemand unter Deck bleiben. In der Kajüte steht die Luft, die Fenster bleiben geschlossen. „Wegen des Kohlenstaubs“, sagt ein Bootsmann und zuckt mit den Achseln.

Ein leichter Wind streift über die Spree, der den starken Dieselgeruch zwar nicht vertreibt, aber den Kohlenstaub zart in der Luft wirbeln läßt. „Schauen Sie“, wird wenig später Krajewski in seinem Führerhäuschen sagen und einen schwarzen Finger hochhalten. Für ihn gehört die Kohle zum Alltag wie das langsame Vorbeiziehen der Auen und Häuser und Dörfer. Und geradeaus verliert sich der Blick über 130 Meter Halden hinweg in der Ferne des Flusses. Acht Stundenkilometer macht das Boot auf seiner Fahrt nach Berlin-Treptow. Dann und wann bedient Krajewski den Steuerknüppel, um das Schiff zwischen den roten und grünen Bojen zu halten. „Hier ist die Spree leicht zu beschiffen. Aber es gibt andere Stellen“, sagt der Schiffer, und natürlich ist auch er für den Ausbau der Wasserstraßen.

„Nur das Anheben der Brücken, das die Binnenschiffahrt fordert, da weiß ich nicht so genau, ob das gut ist.“ Man müsse die Umweltschützer, die warnen, ja auch nicht verteufeln. „Trotzdem, bei allen Abwägungen, das Binnenschiff ist nun mal das umweltfreundlichste Verkehrsmittel“, sagt er und rechnet vor, daß er mit einem Schiff und zwei Leichtern 1.850 Tonnen transportieren kann. „Ein schwerer großer Lkw bringt es nur auf eine Ladung von 28 Tonnen. Das sagt doch alles“, findet Krajewski und erzählt, daß Berlin an einem Verkehrkollaps gestorben wäre, wenn die Binnenschiffahrt nicht den Bauschutt vom Potsdamer Platz und dem Regierungsviertel abgefahren hätte. „Wir haben der Hauptstadt täglich 4.000 Lkw-Fahrten erspart“, sagt er, während sich das Schiff langsam dem Heizkraftwerk, an dessen Netz 200.000 Berliner Haushalte hängen, nähert. Für zwei Monate wird es die letzte Fahrt sein. Es ist Sommer. Sein Schiff wird eine Weile trokken gelegt werden. Die Auftragslage der Reederei ist zu schlecht. Kapitän Krajewski wird eine Zeitlang auf einem anderen Schiff arbeiten. Nicht als Steuermann, sondern als Matrose.