Richtig Spaß in die Backen

Schlager schlägt alles: Zum Schmalz der Kusinen liegen sich in Kreuzberg sämtliche Subkulturen und sexuellen Ausrichtungen in den Armen  ■   Von Thomas Winkler

Heißer kann es auch in New York nicht sein. Das traditionelle schwul-lesbische Straßenfest in der Motzstraße im Berliner Stadtteil Schöneberg hat sich den ersten richtig schwülen Tag des Jahres ausgesucht. Auf der Straße scheint sich der Schweiß zu kleinen Rinnsalen zu sammeln. Auf der Bühne stehen Die Kusinen und spielen „Ein Bett im Kornfeld“. Das Singen übernimmt aus vollen Kehlen das Publikum.

Seit drei Jahren gibt es die Kusinen, seit drei Jahren spielen sie Schlager. Ihre Heimatstadt Berlin liebt sie dafür. Wenn man Die Kusinen fragt, wie alt sie sind, sagen sie natürlich „höchstens Anfang Zwanzig“. Natürlich sind sie auch alle verwandt, sonst wären sie ja keine Kusinen. Natürlich hatten sie ihren ersten Auftritt bei Tante Mechthilds 50. Geburtstag, schleppt ihnen Onkel Heinz sonst die Verstärker und hat Tante Gertrud das Management übernommen. Außerdem hat man vor dem Grand Prix versprochen, Guildo Horn einen Trostschal zu stricken, wenn er nicht gewinnt. Den hat er bis heute nicht bekommen. „Ich glaube, Guildo ist stinksauer“, sagt Kusine Uschi.

Warum Schwule Die Kusinen lieben, ihnen aber Guildo herzlich egal ist, die Antwort auf diese Frage kennt auch der Wind nicht. Vielleicht liegt es an den Haaren von Guildo und den Perücken der Kusinen. An der Musik kann es nicht liegen, da sind die Unterschiede nicht allzu groß. Kusine Uschi hat mal in Rockbands gesungen. Das hört man ihrer Stimme an, wenn sie „Believe“ von Cher singt, dem sie einen deutschen Text haben angedeihen lassen, oder wenn sie „Wunder gibt es immer wieder“ zerknödelt, als wäre sie Tina Turner. Die Kusinen loten noch bei den schmalzigsten Nummern sämtliche Möglichkeiten der Rockschaffe aus. Was aber, so sagen sie, hauptsächlich an ökonomischen Zwängen und der daraus folgenden Besetzung liegt. „Sehr, sehr gerne“, sagt Uschi, würde man mit Orchester auftreten. „Wenn's nach mir ginge“, meint Schlagzeugerin und Kusine Doris, „ein Alphorn, ein Jagdhorn, drei jungfräuliche Geigerinnen und mindestens drei Cellistinnen“. Uschi plädiert für „eine nicht mehr ganz so jungfräuliche Tuba-Frau“. Mathematische Nachforschungen aber haben ergeben, daß es sich „in 80 Prozent der Fälle nicht rechnet“, einen Bläsersatz mitzunehmen.

Die Kusinen haben jetzt eine erste CD, „Festival der Liebe – Live im SO 36“, herausgebracht. Im Selbstverlag, weil die Bemühungen, eine Plattenfirma zu finden, scheiterten. Als sie anfingen, war Schlager nicht angesagt. Als die Manie um Horn und Dieter Thomas Kuhn so richtig ausgebrochen war, wurde ihnen gesagt, das Risiko wäre zu groß, lange könne das mit dem Schlager ja nicht mehr gut gehen. Aufgenommen wurde die Platte bei den Schlagerparties im SO 36, zu seligen Mauerzeiten legendärster Punkschuppen West-Berlins. Dort sind Die Kusinen inzwischen so etwas wie die Hausband, wenn das wild zusammengewürfelte Publikum wöchentlich mit „richtig Spaß in die Backen“ (Uschi) unterhalten wird. Hört man allerdings nur die CD, ohne sie jemals live erlebt zu haben, könnte man den Eindruck gewinnen, daß hier Dilettantinnen am Werke sind. Aber auch wenn vor der Bühne gern handbemalte Fan-Bettlaken hochgehalten werden und sich nach dem Auftritt die lesbischen Fan-Clubs drängeln, die fünf Kusinen sind vor allem eine überaus professionelle Live-Band, die auch ein Mainstream-Publikum in den Griff bekommt. Angeblich hat man neben den „sechs oder sieben“ eigenen Stücken notfalls 200 Schlager im Repertoire, denn „eigentlich kennen wir alle“, so Bassistin und Kusine Tina, „und alle, die wir kennen, können wir auch.“

Doch warum ist Schlager so erfolgreich? „Ein Mittel, um Kommunikationsgrenzen einzureißen, sowohl altersbedingte als auch intellektuelle und umfeldbedingte“, ist es für Doris. „Schlager hat etwas Verbindendes“, meint Tina. „Du kriegst die Leute ganz anders“, sagt Uschi, „entweder du heulst Rotz und Wasser oder Hossa!“ Beschworen wird „ein großer Schmelztiegel“ (Doris). Früher war Schlager peinlich, „inzwischen gehört er zum guten Ton“, hat Doris festgestellt, „das mußt du im Repertoire haben als DJ. Erst dann gehen die Leute ab, und dann ist es relativ egal, was du hinterher auflegst.“ Wer heutzutage die Teilnahme an Mitgesinge, Sehnsucht und endloser Liebe auf Klischee komm raus und Spaß ohne Reue verweigert, landet schnell auf der Seite der Miesepeter. Bei den Zynikern, die sich nicht richtig amüsieren können.

Das kann, da hatten die Plattenfirmen schon recht, nicht mehr lange gut gehen. Das Leben besteht nicht nur aus Nußecken und Fernsehabenden mit Grand-Prix-Übertragungen. Im Kreuzberger Punkschuppen mag wöchentlich der Crossover zwischen allen Altersklassen, sexuellen Ausrichtungen und Subkulturen stattfinden, schon die Ost-West-Versöhnung läßt auf sich warten. Ein einziges Mal haben Die Kusinen versucht,einen Hit aus DDR-Zeiten ins Programm einzubauen, „Mein himmelblauer Trabant“. „Die eigenen Sachen hat das Publikum nahtlos akzeptiert“, erzählt Gitarristin Susi, „aber diesen Ostschlager nicht.“ Die Leute wollen mitsingen. Die Ostler singen aber lieber zu Hause mit, in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg, bei den seit mehr als sechs Jahren stattfindenden 60/40-Parties mit 60 Prozent Ostrock und 40 Prozent Westmusik. So stehen die beiden Popvergangenheiten hier immerhin friedlich und nahezu gleichberechtigt nebeneinander.

Die Kusinen: „Ein Festival der Liebe – live im SO 36“ (Selbstverlag), Kontakt: diekusinenaol.com) Auftritte: 17. 7. Darmstadt, Goldene Krone, 18. 7. Frankfurt/Main, CSD, 24. 7. Braunschweig, Schwul-lesbische Sommerlochtage

„Du kriegst die Leute mit Schlagern anders: Entweder du heulst Rotz und Wasser oder Hossa!“