Der Gesang des Abflußrohrs

■ ...und währenddessen tobt in Bremen das Viertelfest Sieben Künstlerinnen aus Bremen und dem Rest von Europa präsentierten in der Abgeschiedenheit der Höge bei Bassum die Frucht des 4. Künstlerinnensymposiums...

Der Weg ist das Ziel: Das ist auch so ein dummer Trost- und Selbsthilfesatz, der zu nichts anderem da ist, als die schmähliche Niederlage eines verfehlten Ziels zu vertuschen und obendrein niemals nie stimmt. Nietzsche würde seinem Übermenschen solche Schwächen niemals durchgehen lassen.

Bei „Pipes und Vibes“ aber erfüllt sich die Sache mit dem Weg und dem Ziel aufs Feinste. Auf dem Weg in den Künstlerinnenhof Höge in der Nähe von Syke kann der Bremer Stadtmensch Freundschaft schließen mit Getreidefeldern, pubertierenden Maiskolben, Blumen und mit Wolken auf Wanderschaft. Und drinnen im großen Holzschuppen, in dem sieben Künstlerinnen die Frucht von drei Wochen Klausur der Welt in Form von etwa 250 BesurInnen präsentieren, dort drinnen sieht man auf locker im Raum vertreuten Videoleinwänden was? Natürlich Getreidefelder, Mais, Blumen und Wolken, die im Wind schaukeln. Manchmal tun sie das ein wenig sprunghaft, weil Kunst auf die chronologische Ordnung der richtigen Welt pfeifen kann. Und das Gelb der Felder ist neonmäßig aufgepeppt, als würde die Natur den Menschen durch radioaktive Strahlen die nötige Angst und Achtung abringen wollen. Die Blumen gar erweisen sich als erstklassige Techno-Tänzerinnen. Sie flackern sogar auch dann wie auf Droge, wenn die Band um Hilde Kappes den guten, alten Blues anstimmt.

Die Idee der Höge ist es, durch einen ungewohnten Ort ungewohnte künstlerische Dinge oder Sachen hervorzulocken, für die sich als Verlegenheitsumschreibung das Wort „Performance“ noch immer am besten eignet. Diese Idee war in den zwei 70-Minuten-Aufführungen am Wochenende deutlich sichtbar.

Zum Beispiel, wenn in den Filmen von Fiona Leus vier Hände diverse Steine einen schleichend langsamen Ringelreihen tanzen lassen. Das ist der großzügigere, gelassenere Rhythmus der Natur, der auch draußen vor dem Scheunentor pocht, der die Veranstalterinnen auf Eintrittspreise verzichten läßt und ganze Menschenmassen zu den langen Anfahrtswegen mit Straßenkarte und Pfadfindergeist motiviert. Auch Nietzsche brauchte schließlich sein Sils Maria, fern ab von allem Großstadtjuche.

Die optischen Komponenten von „Pipes and Vibes“ sind Tanz und Film. Und manchmal wird das Erzeugen von Tönen selbst zum optisch-akustischen Gesamtkunstwerk, zum Beispiel wenn vier Frauen vier Lichtstäbe hin- und herwerfen und zwischendurch damit den Boden verhauen, oder wenn kräftige Frauen auf noch kräftigere Abflußrohre eindreschen.

Ach ja, und Hilde Kappes. Die bewies, daß in ihrem Hals vier, fünf, ein ganzes Archiv verschiedener Kehlköpfe versteckt sind: der einer Channsoniere, einer Bluessängerin, einer Opernsängerin im Grundstudium und einer Voodoopriesterin. Im letzteren Fall dünsteten plötzlich die orangenen und bordeauxfarbenen Kleiderstoffe einen echten daseinsverliebten Sanyassin-Geist aus. Natürlich klatschte das Publikum am heftigsten, wenn relativ traditionell musiziert wurde. Doch am schönsten klang Hilde Kappes, wenn sie einen heimtückischen hexenhaften Lachgesang anstimmte. Nietzsche würde diese Vermischung von Apollinischem und Dionysischem vermutlich sehr verwirren. Zu dem ganzen postmodernen Miteinander malte die untergehende Sonne einen spannend rhythmisierten Barcode auf das Innere der Scheunenwand. Sie findet immer eine Ritze im Holz zum Durchschmuggeln. Wie die Macherinnen des Projekts wider alle Wahrscheinlichkeit namens Höge. bk

8. August ab 14h: Fest zur Einweihung der neuen Räume.