„Eine Übermächtigung der Geschichte“

■ Wolfgang Wippermann, Historiker an der Freien Universität, warnt vor der Instrumentalisierung des 20. Juli durch die Politik – die Armee einer Demokratie brauche keine atavistischen Rituale

Am 20. Juli pflegt die Bundeswehr mit einem öffentlichen Gelöbnis das Andenken an den militärischen Widerstand gegen Hitler.

Die Bundeswehr ist und wird nicht antifaschistisch. Das Gelöbnis ist der Versuch, den 20. Juli zu instrumentalisieren und damit das Bild der Bundeswehr, das sich nach dem Jugoslawienkrieg ja etwas geändert hat, zu modernisieren.

In welcher Tradition stehen die Rekruten am Jahrestag des Stauffenberg-Attentates?

Die Männer des 20. Juli vertraten keineswegs demokratische Zielsetzungen in unserem Sinn. Sie wollten im Inneren ein autoritäres Regime und in der Außenpolitik eine Hegemonie Deutschlands in Europa. Das können nicht unsere Ziele als Demokraten sein. Insofern warne ich davor, den 20. Juli zur Tradition der Bundeswehr zu erheben.

Die Berliner Abgeordnete Ida Schillen argumentiert, mit dem 20. Juli werde „dem Bild des guten Soldaten das Bild des guten Nazis hinzugefügt“.

Man sollte Achtung haben vor den Männern und Frauen des 20. Juli. Der Widerstand um des Widerstandes willen muß geehrt werden. Man sollte aber vorsichtig sein, daraus Traditionen herzuleiten und gegenwartspolitische Ziele damit zu legitimieren. Das ist eine Übermächtigung der Geschichte.

Welche politischen Ziele werden Ihrer Ansicht nach mit dem Gelöbnis verfolgt?

Es ist zweifellos so, daß die Berliner Republik sich als normale Nation geriert, die wieder Großmachtpolitik betreibt, sogar Kriegspolitik. Da hat ein Wechsel stattgefunden. Man sagt: Wir dürfen das, weil wir, die neue Generation, die 68er, die Vergangenheit so wunderbar bewältigt haben. Man kann das daran sehen, daß Bundesverteidigungminister Rudolf Scharping vor einigen Monaten mit Soldaten der Bundeswehr in Auschwitz war. Wenig später begründete er gewissermaßen mit Auschwitz den Angriff auf Jugoslawien. Das ist eine Instrumentalisierung der Geschichte, die ich als Historiker sehr scharf kritisiere. Das darf man nicht tun.

Selbst die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, hat im Bundestag das Gelöbnis begrüßt.

Ich bin generell gegen Gelöbnisse. Eine Armee in einer Demokratie braucht keine solchen atavistischen Rituale. Ich kritisiere aber besonders scharf den Ort und das Datum der Veranstaltung. Es ist mehr als makaber, daß vor dem Bendlerblock, wo deutsche Soldaten deutsche Soldaten erschossen haben, jetzt die Armee eines demokratischen Staates unter Berufung auf diese Tradition vereidigt werden soll. Die Männer des 20. Juli waren ja nicht nur Widerstandskämpfer, sondern auch Offiziere Hitlers.

Interview: A. Spannbauer