■ Kolumbien: Regierung und Guerilla verhandeln nicht mehr
: Nicht reif für den Frieden

Der Beginn der Friedensverhandlungen zwischen der Regierung Andrés Pastrana und den „Revolutionären Streitkräften Kolumbiens“ (Farc) ist zum dritten Mal verschoben worden – diesmal ohne neues Datum. Die Krise lag in der Luft. Nicht nur, daß bis zuletzt die Besetzung der internationalen Verifizierungskommission für den Friedensprozeß nicht feststand. Die Parteien hatten nicht einmal Einigkeit über deren Aufgaben erzielt: Während die Regierung den Experten eine echte Funktion zugedacht hat, wollen die Guerilleros sie als zahnlose Beobachter am Verhandlungstisch sitzen haben. Überwachung, so Jorge Briceño, der starke Mann der Farc, sei nicht notwendig, wo Ehrenmänner verhandeln.

Dabei liegt das Problem tiefer – beim zweifelhaften Verhandlungsmandat des Präsidenten und den unterschiedlichen Vorstellungen vom Dialog. Pastrana, der vor einem Jahr die Stichwahl gewann, weil er Farc-Chef „Tirofijo“ glaubwürdig Frieden versprach, muß Ergebnisse zeigen. Seine anfängliche Popularität ist angesichts der tiefen Wirtschaftskrise längst verbraucht, und auch die Wiederherstellung der unter seinem Vorgänger Samper ramponierten Beziehungen zu Washington reicht nicht aus, um Pastranas Planlosigkeit zu kompensieren.

Die Farc sind derweil militärisch so stark geworden, daß manche US-Analytiker den bewaffneten Umsturz nicht ausschließen. Eine friedliche Konfliktlösung ist also ein Gebot der politischen Klugheit. Um die Guerilla an den Verhandlungstisch zu bekommen, hat Pastrana ihnen Zugeständnisse gemacht, die von Militärs und Opposition als nahe am Hochverrat eingestuft werden. Die bis auf weiteres entmilitarisierte Zone von der Größe der Schweiz, wo die Verhandlungen stattfinden sollen, dient den Rebellen zur militärischen Aufrüstung und als Rückzugsgebiet nach Überfällen auf Militärbasen. Tonnenweise wurden in Zentralamerika eingekaufte Waffen und Munition in Kleinflugzeugen über der Zone abgeworfen. Nach Geheimdienstberichten absolvierten in den letzten Wochen 15.000 Guerilleros in der „Entspannungszone“ Ausbildungskurse. Am meisten wurmt die Militärs aber, daß die Rebellen sich nach ihren Attacken in ihr Gebiet zurückziehen können, ohne die Verfolgung durch die Regierungstruppen fürchten zu müssen. Im Mai drohten die Generäle unverhohlen mit Staatsstreich, als der Präsident den Sonderstatus der Enklave unbefristet verlängerte. Nach einem Teilrückzieher konnte die Krise nur oberflächlich beigelegt werden.

Gleichzeitig wurde dieser Staat im Staat zumWallfahrtsort für die Guerillachefs. Noch nie war es für Reporter so leicht, an Interviews mit Guerillakommandanten zu kommen. Politiker, Unternehmer, Geistliche und ausländische Delegationen pilgern nach San Vicente de Caguán. Selbst Robert Grasso, der Chef der New Yorker Wall Street, eine Symbolfigur des Kapitalismus, nahm im Juni die Reisestrapazen auf sich, um den Comandantes seine Aufwartung zu machen. Von ihrem Ziel, der offiziellen Anerkennung als kriegführende Kraft, sind die marxistischen Guerilleros also nicht mehr weit entfernt.

Während Pastrana vom Frieden spricht, geht es für die Farc um „politische Verhandlungen“. Sie haben einen Forderungskatalog vorgelegt, der von der Agrarreform über die Erdölpolitik bis zur Bekämpfung der paramilitärischen Banden kein heikles Thema ausläßt. Nur von Waffenniederlegung ist keine Rede – lehrt doch die jüngere Geschichte, daß Guerillaorganisationen, die sich auf Friedenslösungen einlassen, bald jede Bedeutung verlieren. Nicht einmal eine Waffenruhe haben die Comandantes dem bedrängten Pastrana in Aussicht gestellt. Schnelle Ergebnisse, wie sie der Präsident zum politischen Überleben braucht, sind schwer zu erzielen.

Dazu kommt, daß der beabsichtigte „Kavalierspakt“ nicht von einem Diskussionsprozeß aller relevanten Gruppen begleitet wird. Eine „Versammlung der Zivilgesellschaft“, wie sie vom „Volksbefreiungsheer“ ELN, der zweiten großen Guerillaorganisation, letztes Jahr bei einem Treffen bei Mainz in Gang gesetzt wurde, ist derzeit nicht vorgesehen. Und während der Präsident unter dem Druck seiner verbleibenden drei Amtsjahre steht, haben die Farc, die seit fast 40 Jahren kämpfen, alle Zeit der Welt. Ralf Leonhard