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Herr Sackmann hat einen Plan

Zocken wie in Las Vegas und Damen kaufen wie auf St. Pauli: Ein Aushilfskoch aus München will in einer ungarischen Kleinstadt Europas größten Freizeitpark errichten    ■ Von Philipp Maußhardt

Herr Sackmann muß sparen. Herr Sackmann fährt mit der günstigen Umweltkarte des Münchner Verkehrs- und Tarifverbundes durch die Stadt. Denn Herr Sackmann braucht Geld. Viel Geld. So gegen vier Milliarden Mark.

Wer sich in diesen Tagen mit Wolfgang Sackmann, 54, unterhält, sollte ein wenig Zeit mitbringen und einen Raum haben, der in der Länge mindestens dreieinhalb Meter mißt. Denn Herr Sackmann hat einen Plan in der Tasche, den er gerne ausfaltet und dessen Dimensionen alles sprengen, was man an Bauplänen jemals sah. Es ist der Plan vom „Freizeitpark Europa“.

Mich erreichte der erste Anruf von Herrn Sackmann schon vor Monaten über das Autotelefon im Urlaub in Italien. „Hier Sackmann, wir sollten uns dringend treffen. Ich plane einen Freizeitpark, der alle bisherigen in den Schatten stellt.“ Wieder so ein Spinner, dachte ich und notierte seine Nummer in meinem Notizbuch unter der Rubrik „Sonderfälle“, gleich unter derjenigen eines arbeitslosen Ingenieurs, der sich im Besitz von Unterlagen wähnt, die den Flugzeugabsturz von Lokkerbie 1988 als eine Folge von elektromagnetischen Wellen aus dem Weltall belegen.

Aber Herr Sackmann wäre nicht Herr Sackmann, wenn er aufgegeben hätte. Irgendwann hatte er mich soweit, und wir trafen uns in einem kleinen Bistro in der Münchner Innenstadt, dessen Besitzerin, als Sackmann seinen Plan ausfaltete, uns nur deshalb kein Hausverbot erteilte, weil sie mich kannte. Es dauerte ungefähr eine Stunde, bis Wolfgang Sackmann die Zeichnungen erklärt hatte, noch eine Stunde, in der ich, während er weitersprach, überlegte, ob dieser Mann ein Fall für die Nervenheilanstalt in Haar ist, und in der dritten Stunde begann ich zu begreifen: Er meint es ernst. Die Berechnungen stimmten offensichtlich, und wahrscheinlich rollen im nächsten Jahr tatsächlich schon die Bagger an, um auf einem Ackergelände in der Nähe des ungarischen Städtchens Mosonmagyaróvár den größten jemals gebauten Freizeitpark der Welt zu errichten, nur wenige hundert Meter hinter der österreichisch-ungarischen Grenze, auf einer Fläche von 400 Hektar, für 75.000 Besucher am Tag.

„So etwas gibt es noch nicht“, sagte Sackmann, „und darum kann sich das kaum jemand vorstellen. Ihnen wird es nun gehen wie allen: Sie glauben, der Sackmann ist durchgeknallt.“

Was sollte man aber auch anderes denken, wenn einer davon erzählt, was demnächst unter zwei großen Zeltdächern, von denen jedes einzelne einen Durchmesser von einem Kilometer hat, passieren wird: daß da in einem Restaurant, größer als das Kolosseum in Rom, 15.000 Menschen, an Tischen liegend, zu Abend essen. Daß vor dem Kolosseum ein altes Segelschiff über Kanäle gezogen wird – als Diskothek. Daß auf einer riesigen Wasserfläche ..., in einer gigantischen Weinhöhle ..., auf einem Golfplatz ..., in einem Fußballstadion ..., an Kletterfelsen ..., über eine Go-cart-Bahn ..., daß insgesamt 120 Sportarten und 400 verschiedene Erholungsmöglichkeiten ...

Herr Sackmann hatte sich in Fahrt geredet, während die Bedienung etwas hilflos den Plan in die Höhe hielt: „Die Hotels werden 20.000 Betten haben“, hatte er gesagt, „und das Spielcasino mehr Spieltische als Las Vegas.“

Bei unserem dritten Gespräch in Wolfgang Sackmanns Schwabinger Wohnung erzählte er ein wenig über sich: Er war Koch gewesen, bis er im nordrhein-westfälischen Wipperfürth vor vielen Jahren das „Ritteressen“ erfunden habe. Ein wildes Fressen mit den Händen und Saufen aus klobigen Krügen. „Jeder will doch mal die Sau herauslassen, und ich habe es möglich gemacht.“ Vor 18 Jahren sei ihm dann die Idee mit dem Freizeitpark für Erwachsene gekommen: „Alles anbieten, was es gibt. Jeder soll einen Tag lang tun dürfen, was er schon immer wollte. Man kann dort ein Buch lesen, aber man kann sich auch besaufen, am Bungee-Seil springen, sich mit einer käuflichen Dame ins Hotelzimmer verziehen oder Bogenschießen. Das ist mir doch egal. Ich bin kein Moralist. Ich will nur das Geld dieser Leute.“

Herr Sackmann gründete also die „Areal für Freizeit und Erholung, Gesellschaft des bürgerlichen Rechts“.

Hätte Sackmann mir an diesem Tag nicht einen dicken Packen Papier mitgegeben, das eine von Siemens-Managern ausgerechnete „Wirtschaftlichkeitsanalyse“ enthielt, ich hätte ihn wohl nicht wieder getroffen. Doch darin schreiben die Siemens-Leute: Der „Erlebnispark“ werde sich trotz seiner Kosten von über drei Milliarden Mark wirtschaftlich betreiben lassen, wenn er die angestrebten 75.000 Besucher am Tag anlockt. Über 200 Seiten voller Zahlen und Tabellen. Mir tanzten am Ende die Nullen nur noch vor den Augen herum: 4.000.00,00 Mark Eintritt am Tag. 1.500.000,00 Mark das „Römeressen“. 2.500.00,00 Mark Einnahmen in der Einkaufsstadt und, und, und – macht alles in allem 17,5 Millionen Mark Einnahmen am Tag. Am Tag!

Auf dem Rathaus von Mosonmagyaróvár hat man den Tag, als Herr Sackmann da war, noch gut in Erinnerung. „Es war vor eineinhalb Jahren“, sagt Pal Stipkovits, Bürgermeister des unaussprechlichen Städtchens, „und wir haben alle sehr gestaunt.“ Man habe sich alles erklären lassen, dann sei der Deutsche wieder abgereist. „Es klang alles so unglaublich, und wir wissen bis heute nicht, was wir davon halten sollen.“ Der ungarischen Tageszeitung Kisalföld gab Stipkovits erst Anfang Juli ein etwas merkwürdiges Versprechen: „Wenn Sackmann tatsächlich diesen Park baut, dann bauen wir ihm zu Ehren eine Raketenabschußanlage.“ Im benachbarten Dörfchen Bezenye, an das der Freizeitpark direkt angrenzen soll, lebt Bürgermeister Matyas Schmatovich in der für ihn beunruhigenden Vorstellung, der Mais-Acker vor seiner Haustüre „soll sich in einen Meeresstrand und eine Urwaldimitiation verwandeln“.

Vor meinem vierten Treffen mit Sackmann rief ich Rolf Zehetbauer an, Filmausstatter und Kulissenarchitekt aus München, der für die Ausstattung des Kinofilms „Cabaret“ einen Oscar erhielt. Zehetbauer hat für Sackmann die ersten Entwürfe gemacht und will den Freizeitpark bauen. Zu mir sagte er: „Ich habe das am Anfang auch nicht geglaubt, aber wenn das einer schafft, dann wahrscheinlich nur der Sackmann.“

Zum vierten Treffen bat mich Herr Sackmann in das „Bistro-Eck“ im Münchner Hotel „Vier Jahreszeiten“. Es gab nach einer Markklößchensuppe noch hausgemachte Ravioli mit Rucola-Ricotta und Riesling dazu. „Nächstes Frühjahr kann mit dem Bau begonnen werden“, sagte Sackmann, es fehle nur noch die Finanzierungszusage der Bank, eine Formsache. Ein Konsortium von sieben Investoren soll den Bau des Parks finanzieren, die Dresdner Bank kümmere sich darum.

Dann brach es, noch vor dem Espresso, aus Sackmann heraus, wie aus einem Überdruckventil: „Wissen Sie, was Sekretärinnen in diesem Land für eine Macht haben?“ fragte er. „Sie wimmeln mich ab. Sie hören mich nicht einmal an. Sie sagen, der Chef habe keine Zeit für mich.“ Man läßt also Sackmann nicht einmal vor, um seinen Plan zu entfalten. „Aber wenn er fertig ist, wollen sie natürlich alle kommen.“

Alles hat Wolfgang Sackmann in seinen Traum gesteckt: seine ganze Zeit, all seine Ideen und all sein Geld, mehrere Millionen Mark, „zwölf Millionen“, sagt er. Sein Erspartes aus den gutgehenden früheren Geschäftsjahren und all seinen späteren Verdienst. Das Geld sei vor allem für teure Reisen draufgegangen. „Wissen Sie, einen Flug nach Wien bekommen Sie ja nicht unter 600 Mark.“

Da ist er schon wieder, mein Zweifel: Der hat doch eine Meise. Reist für zwölf Millionen Mark durch die Welt und behauptet gegenüber dem Finanzamt, das sei Arbeit. Übrigens will auch Erich von Däniken, ufogläubiger Amateurforscher, im Berner Oberland einen Feizeitpark bauen, Parkname: „Rätsel der Welt“. Da muß man doch kritisch fragen dürfen.

„Doch, doch“, sagt Sackmann jetzt etwas ärgerlicher, „ich habe mit den Grundstückseigentümern in Ungarn gesprochen, und ich habe mit Vertretern der ungarischen Regierung alles geklärt.“ Daß ein Flughafen gebaut werden muß, ein Kraftwerk und ein Klärwerk. Es könnte losgehen, wenn, ja wenn nur die Banken das Geld endlich freigäben. So aber muß Wolfgang Sackmann nachts bisweilen als Aushilfskoch arbeiten, um über die Runden zu kommen. Denn Sackmann ist inzwischen arm wie eine Kirchenmaus. Das Finanzamt München hat seinen Plan als „Liebhaberei“ eingestuft, und darum bekommt er von seinen Ausgaben keinen Pfennig Umsatzsteuer zurück. 5,4 Millionen Mark, sagt er, würden sie ihm vorenthalten. Ein Skandal.

Niemand glaubt ihm, niemand traut ihm, niemand, außer mir, hört ihm zu. Und darum wird der größte Freizeitpark der Welt vielleicht gar nie gebaut werden, jedenfalls nicht in Mosonmagyaróvár und nicht von Wolfgang Sackmann. „Hundert mal zigtausend macht soundsoviel Millionen“, hat Sackmann ausgerechnet. Da muß man erst mal drauf kommen. „Und irgendwann wäre ich mit dem Ding an die Börse gegangen und hätte mich zur Ruhe gesetzt“, sagt Sackmann zum Abschied. Schon im Gehen ruft er mir trotzig zu: „Ich werde das noch erleben. Dann wird auf Bayerns Radiosendern täglich die Staumeldung lauten: 'Stockender Verkehr von der ungarischen Grenze bis München‘.“

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