Eine Bevormundung verbitten sich die Letten

Lettland will sich in den Weg in die Zukunft nicht mit einem Sprachengesetz verbauen. Und die Zukunft heißt Mitgliedschaft in der EU. Doch der Nationalismus sitzt noch tief bei der Bevölkerung  ■   Aus Riga Reinhard Wolff

Das vom lettischen Parlament verabschiedete umstrittene Sprachengesetz wird vermutlich nicht in Kraft treten. Nachdem Lettlands neue Präsidentin eine Unterschrift unter das Gesetz verweigert hatte, machte am Wochenende der neue Ministerpräsident Andris Skele deutlich, daß er weder einen Verfassungskonflikt mit dieser noch weitere Spannungen mit dem Westen und Moskau in dieser Frage wolle: Es werde keine baldige neue Abstimmungsrunde im Parlament geben, sondern man werde „in Ruhe überlegen“, was jetzt geschehen solle.

Lettlands neue Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga hatte sich letzte Woche geweigert, das Sprachengesetz zu unterschreiben und damit in Kraft zu setzen. Zur Begründung hatte sie Verfassungsbedenken – Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot und die Meinungsfreiheit – vorgebracht und die Befürchtung geäußert, das neue Gesetz könnte die Korruption fördern. Das Gesetz habe Einschränkung und Bevormundung zum Ziel und nicht soziale Integration. Von der Verfassung her hätte die Saeima, das lettische Parlament, die Befugnis, sich mit qualifizierter Mehrheit – und diese war bei dem ursprünglichen 73:16-Beschluß bereits vorhanden –, über die Weigerung der Staatspräsidentin hinwegzusetzen und das Gesetz in Kraft zu setzen. Noch am Donnerstag hatten Sprecher der nationalistischen Parteien „Vaterland und Freiheit“ und „Lettlands Weg“, die beide in Skeles neuer Dreiparteienkoalition eingehen, erklärt, daß man so verfahren wolle: Der „Schutz von Lettlands Sprache und Kultur“ sei eine absolut vorrangige Aufgabe der neuen Regierung.

In seiner Regierungserklärung hatte der am Freitag mit 60 zu 37 Stimmen in sein Amt gewählte neue Ministerpräsident Andris Skele aber jede klare Äußerung zur umstrittenen Sprachenfrage vermieden. Um nunmehr am Wochenende klarzumachen, daß er das Sprachengesetz erst einmal zurückzustellen beabsichtigt. Auch wenn damit der Keim des ersten ernsten Koalitionskonflikts bereits gelegt ist. Denn nicht nur innerhalb seiner eigenen Regierungskoalition besteht eine breite Unterstützung für das Gesetz, sondern auch in weiten Teilen der lettischen Bevölkerung. Im Fernsehen ausgestrahlte Straßeninterviews zeigten Ende vergangener Woche mehrheitlich LettInnen, die ihr Unverständnis und ihren Ärger darüber zum Ausdruck brachten, daß – wie bereits im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit dem Staatsbürgerschaftsgesetz –, eine gemeinsame Front aus EU, OSZE und Moskau in der Innenpolitik des Landes mehr zu sagen hätte als Bevölkerung und Parlament. Mehrfach fiel dabei das Wort „Bevormundung“, oft wurde die Einschätzung geäußert, man brauche den Westen nicht, komme allein klar.

Ministerpräsident Skele hatte in seiner Regierungserklärung dieser im Lande offenbar weitverbreiteten Stimmung zumindest insoweit Ausdruck gegeben, als er aufrief, „das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, wir sind unsere eigenen Herren“. Gleichzeitig aber hat er klargemacht, daß er sein Ziel darin sehe, Lettland „reif“ für eine Mitgliedschaft in EU und Nato zu machen. Nach seiner Einschätzung ist es die mangelhafte Umsetzung der Marktwirtschaft, welche bislang das größte Hindernis auf diesem Wege ist.

Der 41jährige Skele, Lettlands sechster Regierungschef in der achten Regierung seit der Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion 1991, war bereits zwischen 1995 und 1997 Ministerpräsident. Er stürzte damals über eine Reihe von Korruptionsskandalen und hat den Ruf eines schillernden, steinreichen Geschäftsmanns, der sich mit teilweise äußerst fraglichen Methoden die Macht über nahezu die gesamte Lebensmittelindustrie des Landes erworben hat. Nachgesagt wird ihm auch, daß er als Wirtschaftsreformer keine Rücksicht auf die soziale Auswirkungen seiner Reformpläne nimmt.

Sein Amtsvorgänger Vilis Kristopans hat ihm vorgeworfen, nur die Interessen der eigenen „Lebensmittelmafia“ im Sinn zu haben. Was der Beschuldigte freilich damit konterte, Kristopans sei in seiner Regierungszeit nur eine Marionette der „Öl- und Transport-Mafia“ gewesen.