Blockaden knacken

Der Prozeß ist der Weg: „Pentiment“, die hochkreative Sommerakademie in dieser Stadt  ■ Von Hajo Schiff

Da muß man gar nicht in die Toscana fahren: Jeden Sommer verwandeln sich die in den Semesterferien leerstehenden Räume der Hamburger Fachhochschule für Gestaltung in eine internationale Sommerakademie. In unterschiedlichen Techniken bieten 15 Gastprofessoren aus aller Welt für drei Wochen die Möglichkeit, das kreative Potential aufzufrischen. Das 1988 initiierte Programm wendet sich nicht, wie oft vermutet, an Laien, sondern versteht sich im weitesten Sinne als Weiterbildung für Designer und Grafiker, Künstler und Kunsterzieher.

Wenn diese Woche das zwölfte Mal die Arbeit in der Armgartstraße beginnt, hat sich ein ursprünglich nicht geplanter Trend bestätigt: Während sich für einen mit Marina Schneede und Martin Deppner prominent besetzten kunstgeschichtlichen Kurs keine Interessenten fanden, besteht nach Malerei eine ungebrochen große Nachfrage. Die meisten Teilnehmer wollen Blockaden knacken und den freien Ausdruck zurückgewinnen. „Beherrsche die Regeln – und breche sie“ fordert denn auch der norwegische Maler Arvid Pettersen für seinen Kurs, in dem er über klassische formale Tugenden hinaus „künstlerische Überlebensfertigkeiten“ vermitteln will. Ein vorzügliches Konzept – nur was sind die Regeln?

Seit der Kanon der Fertigkeiten und der Stile nicht mehr verbindlich ist, belastet eher die frustrierende Menge des bereits tausendfach künstlerisch Realisierten. Um so erstaunlicher, daß immer wieder Neues entsteht. Der Hamburger Zeichner Thomas Rieck erforscht die Möglichkeiten dazu in einer Kombination von Systematik und Zufall. Anhand von Fotokopien seiner Zeichnungen studiert er Variationsmöglichkeiten und durch Farbbäder für seine Papiere läßt er naturähnliche Veränderungsprozesse zu.

Doch das Fischen im Fluß der Erfindungsgabe nach dem adäquaten Ausdruck braucht Zeit: Der Prozeß ist der Weg. Das fertige Kunstwerk war den Veranstaltern dieses Jahr sogar so unwichtig, das die gesamte Eröffnungspräsentation der Dozenten auf Videos und Datenzugriff an Computerterminals beschränkt wurde. Zeitgemäß informativ, aber auch in zeitgeistigem Widerspruch zur Eröffnungsrede des Hannoveraner Kunstwissenschaftlers Heinz Thiel, der die dringende Notwendigkeit der Begegnung mit dem Originalkunstwerk beschwor. Zudem entdeckte er in den Statements der diesmal vermittelnden Künstler überraschend häufig den Begriff Heimat.

„Heimat ist der Ort, wo ich mich verwirklichen kann“, sagt die Berlinerin Ina Barfuss, Malerin mythisch plakativer Formfindungen. Und für die künstlerische Leiterin von „Pentiment“, die aus Korea stammende Professorin der Fachhochschule Eun Nim Ro, definiert: „Kunst ist das Zuhause im Kopf“. Überhaupt dient vielen die Kunst als Vehikel zur Suche nach dem Paradies und zur Erinnerung an die ewig verlorene Heimat. Erinnerung vermag auch der älteste Dozent zu wecken: der 1931 in St. Louis geborene Fotograf Will McBride. Neben Fotos in Stern, Life und Paris Match prägte seine Bildsprache in den Sechzigern die Zeitschrift twen – und hat so manchen heutigen Kunstvermittler schon früh beeindruckt.

Fotografie ist aber nicht das einzige technische Seminar. Der in Berlin und Peru lebende Filmemacher Kurt Rosenthal bietet einen Trickfilmkurs, und der Grafikdesigner Johann J. Feught aus Canada unterrichtet an 15 Power-Macs den Einsatz von Computerverfahren für die Drucckunst. Kalligraphie des Franzosen Claude Mediavilla und Textildesign von Lene Nielsen, der Begründerin des „Dänischen Filzverbandes“, runden das Angebot ab.

Im ironischen Sinne wäre Filz auch ein Stichwort für das Rahmenprogramm aus Vorträgen und Besichtigungen: Geht es doch diesmal „Um die Kunst, eigene Bilder zu präsentieren“ und den Hintergrund großer Kunstausstellungen. Die Bremer Galeristin Katrin Rebus befragt Galeriennach ihrer Rolle zwischen Kunst und Macht, und Georg Beck aus Köln fragt noch grundsätzlicher „Warum ausstellen?“.

„Warum Kunst?“ könnte genau so gut gefragt werden, denn warum soll an einer Jahrhundertwende nicht alles befragt werden? Tröstlich ist immerhin die Haltung, der weise in sich ruhenden Eun Nim Ro: „Ich weiß nicht, ob ich als Künstlerin nützlich bin, aber ich weiß, daß ich nicht schade.“

Fachhochschule für Gestaltung, Armgartstraße 24, bis 7. August, mediale Präsentation der Gastprofessoren bis 4. August, Mo bis Sa, 14 bis 18 Uhr; Ausstellung der Kursteilnehmer am 7. August, 14 bis 20 Uhr, anschließend Fest. „Katalog“ auf CD-Rom, 15 Mark,. Weitere Infos: 42 863 33 73