„Unnötiges Sterben verhindern“

Morgen ist bundesweiter Gedenktag für verstorbene DrogenkonsumentInnen. Angehörigen-Verband mahnt niedrigschwellige Hilfsangebote und eine neue Drogenpolitik in Hamburg an  ■ Von Elke Spanner

Drogentote sind nicht Opfer des Stoffes, sondern der Drogenpolitik. Sie sterben nicht an ihrer Sucht, heißt es im Aufruf zum „Nationalen Gedenktag für verstorbene Drogenkonsumenten“, der morgen bundesweit begangen wird. Sie sterben an verdrecktem Stoff, verdreckten Spritzen, HIV und Hepatitis „sowie unter den übrigen Bedingungen des illegalen Konsums“.

Barbara Smith sitzt in ihrem Wohnzimmer in Steilshoop und blättert in einem Stapel Papier. Darin gesammelt sind Broschüren des „Länderverbandes der Eltern und Angehörigen für humane und akzeptierende Drogenarbeit Schleswig-Holstein/Hamburg“, in dem sie sich engagiert. Briefe, die sie an die Sozialsenatorin und den Bürgermeister geschrieben hat und die nie beantwortet wurden. Schreiben von Eltern, die sich aus Sorge um ihr süchtiges Kind an den Verband wandten.

Auch für Smith war es ein großer Schock, als sie vor rund 15 Jahren entdeckte, daß ihr Sohn heroinsüchtig war. „Man will nur, daß alles wieder normal wird“, beschreibt sie ihre damalige Reaktion. Will, daß der Sohn wieder „normal“ zur Schule geht. Sich „normal“ mit seinen Freunden trifft. Nicht diesen Stoff zu sich nimmt, der fortan das ganze Leben bestimmen wird.

Auch Smith suchte damals in einem Elternverein Hilfe. Dort wurde darauf gepocht, die KonsumentInnen von der Droge wegzubringen. Klar, auch sie hätte sich nichts sehnlicher gewünscht. Als ihr Sohn sich selbst mit Codein substituierte, war sie entsetzt, daß er „eine Droge mit einer anderen austauschte“. Dann sah sie, daß es ihm sichtlich besser ging. Aus dem Elternverein, der die Substitution ablehnte, trat sie aus.

Hätte sie damals von Angeboten gewußt, die die Sucht akzeptieren und auf dieser Grundlage Hilfe bieten, vielleicht würde ihr Sohn heute noch leben, sagt Smith. Er fand damals keinen Arzt, der ihm dauerhaft Codein verschreiben wollte. Also nahm er wieder Heroin. Nach einem Gefängnisaufenthalt wurde er unvorbereitet auf die Straße gesetzt. Zwei Tage später war er tot.

Zehn Jahr ist das her. Heute, so Smith, gibt es das Methadonprogramm, es gibt Fixerstuben und Beratungsan- gebote. Und immer noch jährlich weit über 100 sogenannte Dro- gentote. 1990 starben in Hamburg 136 Men- schen an Heroin, 1996 etwa waren es 159, im vorigen Jahr 132. „Wir Eltern sind entsetzt, wie schwer es immer noch ist, Hilfe zu bekommen“.

Denn das Methadonprogramm ist nur für diejenigen offen, die bereits schwer verelendet und erkrankt sind. Die Fixerstuben haben beschränkte Öffnungszeiten und sind gnadenlos überfüllt. Und das Modellprojekt zur kontrollierten Heroinvergabe, das im nächsten Jahr starten soll? „Ach“, Smith verdreht die Augen und winkt ab, „das ist bundesweit für höchstens 800 Menschen.“

Statt die Hürden für KlientInnen möglichst niedrig zu halten, würden sie kontinuierlich wieder herauf- gesetzt, so Smith: Die Akupunk- turambulanz des Trägers „Palette“ etwa, „für KokainkonsumentInnen besonders wichtig, weil es kein Substitutionsmittel gibt“, wurde im Frühjahr geschlossen. Die neuen bundesweiten Richt- linien zur Methadonvergabe, von Hamburgs Sozialsena- torin Karin Roth (SPD) als großer Erfolg gefeiert, seien reiner Etiketten- schwindel.

Immer noch muß man mindestens zwei Jahre abhängig sein, um Methadon oder Polamidon

bekommen zu können.

Nach zwölf Monaten prüft dann eine Kommission den „Erfolg“, und wer etwa andere Drogen beikonsumiert und es nicht schafft, abstinent zu leben, fliegt raus. „Und was ist mit denjenigen, die erst ein Jahr lang drücken und aus der Szene aussteigen wollen?“

„Katastrophal“ sei auch die neue Praxis der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS), die Trägerschaft von Drogenprojekten öffent- lich auszuschreiben und bewährten Betreibern zu entziehen – wie jüngst den Gesundheitsräumen „Drug Mobil“ in Bill- stedt und „Palette 3“ in Altona. Dadurch würden die KlientInnen in einem „ständigen Schleudertrauma“ gehalten, so Smith: im Unsicheren über das Hilfsangebot und damit über ihre Zukunft. „Wie soll man sich in dieser Unsicherheit stabilisieren?“

Obwohl Sucht mittlerweile offiziell als Krankheit anerkannt wird, werde sie noch lange nicht als solche behandelt. Wer nierenkrank ist, geht zum Arzt und bekommt ein Medikament. Wer suchtkrank ist, muß, soweit er illegale Drogen konsumiert, schon ganz am Boden sein, ehe er etwa die Chance bekommen kann,substituiert werden kann. Smith sagt, „man könnte so vieles tun, um unnötiges Sterben zu verhindern“. Die Fachkompetenz von Angehörigen, die die Auswirkungen der Drogenpolitik in ihren Familien hautnah und täglich miterleben, werde von der Politik nicht gewürdigt. Als Smith für den Länderverband der Angehörigen im April bei Sozialsenatorin Karin Roth schriftlich gegen die Schließung der Akupunkturambulanz protestierte, beantwortete die Senatorin nicht einmal den Brief.

Anläßlich des morgigen bundesweiten „Gedenktages für verstorbene Drogenkonsumenten“ soll in Hamburg und Schleswig-Holstein ein niedrigschwelliges Drogenhilfe- system angemahnt werden.

In Hamburg findet deswegen um 17 Uhr eine Mahnwache am Hachmannplatz statt, um 18 Uhr startet von dort ein Gedenkmarsch zur St. Georgs-Kirche, wo anschließend ein Gedenkgottesdienst abgehalten wird.

In Ahrensburg gibt es ebenfalls eine Veransatltung zu diesem Anlaß: Treffpunkt ist hier um 17 Uhr das Rondell, der Gedenkgottesdienst findet um 18 Uhr in der Schloßkirche statt.

Wer Kontakt aufnehmen möchte, kann dies beim Länderverband tun: Tel. 04102/30168.