Wende im Gastro-Streit

■ Bürgerschaft beschließt: Draußen sitzen bis Mitternacht / Ob die Behörde dabei mitspielt, ist aber offen: Gegner pochen auf Verordnungen zum Schutz der Anwohner

Der Streit beschäftigt die Stadt: Die BILD verschenkt jede Menge Aufkleber, die Junge Union sammelte 3.000 Unterschriften. Jetzt beschäftigte sich auch die Bürgerschaft mit der Frage: Müssen Gastwirte bereits um 23 oder erst um 24 Uhr ihre Gäste bitten, die Freiluft-Plätze zu räumen?

Einstimmig beschlossen gestern SPD, CDU und Grüne, daß Gaststätten an der Schlachte und im Viertel ihre Gäste bis 24 Uhr im Freien bewirten dürfen. Knackpunkt: Um das umzusetzen, forderten SPD und CDU ein Konzept vom Senat, das diese Neuregelung „rechtlich absichern“ soll. Ergo: In dieser Saison wird nichts mehr grundsätzlich entschieden. Bis das Konzept vorliegt, werden die Behörden „gebeten“, vor 24 Uhr beide Augen zuzudrücken und nur dann einzuschreiten, „wenn begründete Beschwerden im Einzelfall (Musikdarstellungen etc.) vorliegen“.

Die Grünen hatten bereits vor zwölf Tagen einen entsprechenden Antrag eingebracht – Dieter Mützelburg, der neue baupolitische Sprecher der Grünen, durfte zuerst ans Mikrophon. Während auf dem Viertelfest am Wochenende der Bär tobte, berichtete Mützelburg, wollte er 150 Meter vom Kampftrinker-Geschehen entfernt ein Kaltgetränk zu sich nehmen. Doch leider war es kurz vor elf. Und leider wohnte gegenüber der Kneipe ein Beamter des höheren Dienstes aus dem Justizressort, berichtete die Bedienung. Also stellte die Kneipe um 23 Uhr ihre Außentätigkeit ein, Mützelburg saß wenige Meter weiter in einem anderen Cafe unbehelligt bis halb ein Uhr nachts.

Auch an der Schlachte ist das Draußen sitzen nach 23 Uhr Glückssache, fuhr er fort: Pünktlich zur Sperrstunde begab es sich in einem Lokal, daß die Polizei erschien, um dem Sommertreiben an den Tischen ein Ende zu bereiten. Doch, oh Glück, so Mützelburg: Unter den Gästen befanden sich auch zwei Senatoren, die das Problem mit der nötigen Macht-Aura lösten. Des Grünen Schluß: „Es herrscht keine Klarheit, wer wann wo wie lange sitzen kann.“ Der Appell an die Koalitionäre: „Wir könnten gemeinsam unseren Antrag abstimmen und danach gemeinsam einen trinken gehen.“

Doch da hatte er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der Grünen Antrag war zwar zuerst da. Aber die Koalition wollte lieber ihren eigenen abgestimmt sehen, um vor der Neuregelung eine „Güterabwägung der Betroffenen“ durchführen zu können. Der CDU-Abgeordnete Dieter Focke machte einen kreativen Vorschlag. Bis das neue Schankkonzept vorliege, könnten ja die sieben SenatorInnen in den betreffenden Gebieten herumlaufen „und schon können wir bis 24 Uhr da sitzen“. Spätestens zum 1. April 2000 verspricht Focke eine Neuregelung. Auch Hermann Kleen (SPD) war der Grünen Antrag „zu undifferenziert“.

Ein Scheckheft für Gastwirte kann sich Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU) vorstellen. Demnach können die Betriebe selbst entscheiden, wann sie länger öffnen, allerdings nur eine bestimmte Anzahl von Tagen im Jahr. Der ehemalige Brauerei-Chef berief sich bei seinem Vorschlag auf seinen „spezifischen Sachverstand“. Es kam, wie es kommen mußte: Der Grünen-Antrag wurde niedergestimmt. Die Opposition hatte Größe genug, dem Vorschlag der Rot-Schwarzen dennoch zuzustimmen. cd